Süßer die Glocken (German Edition)
Norwegermuster, in der Ecke stand ein mindestens 50cm hoher Weihnachtsmann neben seinem Rentierschlitten.
Ich wette, wenn man dem auf den Bauch drückt,macht er Ho Ho Ho
, ging es Justus durch den Kopf. An der Haustür hing ein großer goldener Stern, auf den Esstisch stand ein ganzes Engelsorchester. Ein Engel spielte Flöte, einer Harfe, einer Geige … unglaublich. So viel Kitsch auf einem Haufen. Noch viel unglaublicher aber war Ella. Die stand in der Küche und wirbelte mit Töpfen und Pfannen. Sie trug einen kurzen Jeansrock und einen knallroten Pulli mit einem Rentiermuster. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Ah
, dachte Justus,
besser als die Zöpfe
. Er schaute sich interessiert ihre Nackenlinie an. Ich muss es nur noch schaffen, die Rentiere zu ignorieren … irgendwie. Dann blinzelte er und rief über die letzten Takte von »Jingle Bells« aus dem alten Küchenradio hinweg mit einer Mischung aus gespielter und echter Entrüstung: »Was zum Teufel treiben Sie hier mitten in der Nacht!?!«
Ella wirbelte herum und Justus musste sich das Grinsen verkneifen. In ihren Haaren, auf ihren Wangen, auf ihrem Pulli … es gab keine fünf zusammenhängenden Zentimeter an ihr, die nicht mit Mehl bestäubt waren. »Oh, Sie sind wach? Und wieso mitten in der Nacht? Es ist fast neun und übermorgen ist Weihnachten. Wann glauben Sie, soll ich die ganzen Vorbereitungen schaffen?«
»Welche Vorbereitungen denn?«
»Naja, zuerst musste der Stollen in den Ofen. Der braucht am meisten Zeit, aber er hält sich auch am längsten frisch. Der schmeckt erst richtig gut, wenn er ein paar Tage liegen konnte. Sagt meine Oma und die weiß solche Dinge. Dann der Pfefferkuchen und das Marzipan. Alles sehr aufwendig. Aber ich habe mir einen Plan …«, sie begann sich hektisch umzublicken, »… einen Plan… Mist, gerade hatte ich ihn doch noch … Naja, jedenfalls steht da alles drauf. Die Sachen, die länger haltbar sind, werden heute gemacht und dann in die Dosen gepackt. Und die Plätzchen kommen dann später. Ich mache am liebsten drei verschiedene Sorten. Eine unbedingt mit Marmelade in der Mitte … was … was machen Sie denn da?«
Während Ellas Redeschwall war Justus zu ihr herüber gekommen,hatte sich das karierte Geschirrtuch vom Küchentisch geschnappt und hatte begonnen, ihr notdürftig das Mehl aus dem Gesicht zu wischen. Gerade betupfte er ihre Stirn und ihre Augen.
»Sie haben da überall Mehl.« Er legte das Handtuch beiseite. »So, und jetzt würde ich mir gern einen Kaffee machen. Sobald ich in diesem Durcheinander hier die Kaffeemaschine wiederfinde.«
»Ich habe noch heißen Kakao auf dem Herd. Mit Zimt und Kardamom. Schmeckt toll, echt weihnachtlich. Ich werfe immer eine Handvoll von diesen Mini-Marshmallows hier hinein.«
Justus verzog das Gesicht. »Nein danke. Viel zu süß für meinen Geschmack. Mir reicht schwarzer Kaffee völlig.«
»Schwarzer Kaffee. Bäh. Sowas macht einen doch depressiv.«
»Mich nicht. Sagen Sie, haben Sie vor, die da ALLE vollzumachen?« Er deutete auf einen Stapel aus mindestens 12 Blechdosen mit fröhlich-bunten Weihnachtsmotiven.
»Oh, aber ja. Diese und die sechs anderen, die noch auf dem Rücksitz von meinem Mini liegen.«
»Und wen haben Sie eingeladen?«
»Hierher? Niemanden, das sagte ich doch bereits. Ich möchte Weihnachten ganz allein sein. Naja, wenn man von Ihnen absieht. Aber Sie zählen ja nicht. Sie sind ja der unsichtbare Schreiber im Turm, der depressiven Kaffee trinkt.«
»So. Ich zähle also nicht …« Justus grinste und stieg über die Mehllachen und Milchspritzer auf dem Fußboden hinweg, um sich einen Becher aus dem Schrank zu angeln und ihn mit »depressivem Kaffee« zu füllen.
»Nein«, sagte Ella gleichmütig, zuckte mit den Schultern und warf drei Marshmallows in ihre Kakaotasse. Sie beobachtete Justus, wie er sich mit einem Seufzen am Küchentisch niederließ. Er sah müde aus. Erst rieb er sich die Augen hinter den Brillengläsern, dann fuhr er sich durch die Haare.
Schöne Hände hat er
… Rasch blinzelte sie den Gedanken fort.
»Haben Sie gestern nichts mehr geschrieben?«, fragte sie und rührte in ihrer Tasse.
Justus gähnte. »Nein. Ja. Ach, ich habe geschrieben und dann alles wieder gelöscht. Ich bringe im Moment einfach nichts Annehmbares zustande, es ist wie verhext.«
»Vielleicht würden Sie besser schreiben, wenn Sie etwas anders als schwarzen Kaffee zu sich nehmen würden …«
»Nein, das ist es nicht …
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