Süßer die Glocken (German Edition)
ach, ich weiß auch nicht … ich glaube, ich mache einen kleinen Spaziergang. Immerhin schneit es ja wohl nicht mehr und die kalte Luft hilft vielleicht gegen mein Kopfweh.«
»Oh, das ist eine prima Idee. Mein Stollen muss sowieso noch eine ganze Weile im Ofen bleiben. Ich komme mit.«
Justus wollte etwas sagen, um Ella davon abzuhalten, aber ihm fiel auf die Schnelle keine Ausrede ein. Ella sprang auf, rannte zur Garderobe, wühlte, warf irgendetwas um, polterte und rief dann: »Fertig, wir können! Oh, und übrigens: wir sollten »Du« sagen, oder? Ich meine, man läuft nicht mit jemandem durch den jungfräulichen Schnee und siezt ihn dabei …« Sie hatte ihren Wintermantel angezogen, ein Modell aus Wildleder mit Puschelfellbesatz an Kragen und Ärmelaufschlägen, dazu die unvermeidliche Strickmütze vom Vortag, passende Fäustlinge und an den Füßen trug sie knallrote Moonboots. In denen stand sie vor der Tür und strahlte ihn an. Das war das erste Mal, dass sie nicht völlig aufgelöst oder wütend oder traurig aussah. Diese Tatsache war es ihm wert, noch eine Weile auf seine ersehnte und nötige Ruhe zu verzichten. Er griff nach seinem Schal, seinem schwarzen Wollmantel, und zog seine schwarzen Stiefel an. »In Ordnung. Los geht’s.«
Sie öffneten die Tür und draußen erwartete sie die reinste Märchenlandschaft. Fast kniehoch lag der Schnee und es grieselte noch immer vor sich hin, wenn auch inzwischen nur noch ganz sanft und leise.
»Woooow«, kommentierte Ella und sprang sofort mitten hinein. Justus klappte seinen Mantelkragen hoch. »Wie wäre es«, sagte er zu Ella, »wenn du mit deinen Schneepflugschuhen davorweg gehst und ich laufe dann bequem hinterher. Die Dinger hinterlassen bestimmt eine Schneise, die breit genug für einen LKW ist.«
»Waaas! Was erlaubst du dir?« Ella griff in den Schnee, formte mit ihren Wollfäustlingen blitzschnell einen Ball und warf ihn nach Justus. Der Schnee war jedoch so locker und fein, dass er noch in der Luft wieder auseinanderfiel und als weißes, glitzerndes Pulver auf ihn herabrieselte. Ella streckte ihren Fuß vor. »Die sind SCHÖN. Es sind meine allerliebsten Lieblings… » Dann kreischte sie laut, denn Justus hatte ebenfalls einen Schneeball geformt und Ellas Mantel getroffen. Die Wärme seiner bloßen Hände machte, dass seine Bälle wesentlich besser zusammenhielten und schon bald scheuchte er Ella vor sich her durch den dicht verschneiten Garten des Hauses. Sie lief und lief, doch plötzlich musste unter der weißen Schneedecke etwas gelegen haben. Ein Spaten vielleicht, eine Gießkanne … jedenfalls stolperte Ella und fiel der Länge nach hin. Bewegungslos blieb sie im Schnee liegen. Justus rannte erschrocken zu ihr hinüber. »Ella? Bist du in Ordnung? Hast du dir weh getan?«, fragte er besorgt und beugte sich zu ihr hinunter. Im gleichen Moment hatte sie mit den Händen eine Riesenportion Schnee zusammengenommen und schleuderte sie ihm entgegen. »HA!« rief sie triumphierend, sprang auf und rannte wieder auf das Haus zu. »Na warte!« brummte er und versuchte, den Schnee aus seinem Kragen zu schütteln, bevor er dort schmelzen und in Rinnsalen seinen Nacken hinabsickern konnte. Er lief ihr nach und trieb sie schließlich in einer Ecke zwischen Haus und Gartenschuppen in die Enge. Unter dem Schnee befand sich ein Stapel mit gehacktem Brennholz, auf dem sie lachend und atemlos zusammenbrach.
Justus hielt einen Schneeball in der Hand und kam langsam näher. »Als Kinder nannten wir so etwas »einseifen«, kündigte er an und versuchte, bedrohlich zu klingen.
»Nein nein, bitte nicht! Gnade!«, rief Ella lachend. Er stand jetzt direkt vor ihr und sie linste zu ihm hinauf. Er packte sie bei denOberarmen und zog sie zu sich heran. »Meinen Klassenkameraden habe ich früher immer in den Schwitzkasten genommen«, sagte er dicht vor ihrem Gesicht.
»Oh nein«, murmelte Ella und spürte seinen warmen Atem auf ihren kalten Wangen. »Können wir das nicht vielleicht irgendwie anders lösen?«
»Möglicherweise«, murmelte Justus zurück und dann, ohne weiter daran herumzudenken, küsste er sie. Frech und fordernd und kein bisschen schüchtern. Sie wehrte sich pro forma ein wenig, dann machte sie ihre Lippen weich und ließ sich gegen ihn sinken. Er schob sie rückwärts, bis sie im Rücken die Hauswand spürte. »Mal langsam«, nuschelte sie ohne Überzeugung in der Stimme. »Gestern fand ich dich noch unmöglich.«
»Na, und ich dich erst«,
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