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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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funktionieren«, sagte er. Er nahm seine Brille ab, rieb sich das Nasenbein. Dann öffnete er die Augen und schaute sich, ohne sehen zu können, im Zimmer um.
    Ich sah ihn selten ohne Brille – er sah aus wie einer, der lange geschlafen hat und gerade erst aufgewacht ist.
    Unsere Mutter wrang das Wasser aus unseren T-Shirts, während er mit einer Zeitung eine Fliege durchs Zimmer jagte. Dann ging sie ins Bad, erledigte ihr Geschäft: eine von langen luftigen Fürzen akzentuierte Stille, in der unser Vater weiterhin die Fliege verfolgte. Elise und ich beobachteten ihn mit unschuldiger Miene. Als unsere Mutter aus dem Klo kam, wusch sie sich die Hände und goss Drinks ein – Sprite für sich und Whiskey für unseren Vater. Sie hielt ihm das Glas hin, aber er war damit beschäftigt, seinen Koffer auszuräumen: Stapel bügelfreier Hemden, Bündel von Socken, ein Berg Schlüpfer.
    Auf dem Weg zu Tür drehten sie sich um.
    »Wir sind am Pool«, sagte unsere Mutter. Unser Vater nippte an seinem Drink, verzog das Gesicht, als sei er ihm zu stark, und schloss die Tür.
    »Endlich«, sagte Elise. »Mein Gott.«
    Sie wippte vor und zurück, so dass das Kopfteil des Bettes jedes Mal gegen die Wand schlug.
    Auf der Suche nach etwas, das ich auf dem iPod hören könnte, scrollte ich durch meine Playlisten. Bevor wir aus Montgomery abgefahren waren, hatte ich einen Himmels-Mix zusammengestellt und Elise einen Weltende-Mix , aber die Songs waren mir schon wieder über. Ich entschied mich für den Jogging-Mix, auch wenn ich nie joggte. Es ging mir auf die Knie.
    Elise sprang aus dem Bett, drehte die Klimaanlage voll auf und suchte im Einbauschrank nach zusätzlichen Kissen. Sie fand eins und schleuderte es mir an den Kopf.
    »Kaum zu glauben, sie haben den Alkohol stehen lassen. Wollen sie uns prüfen?«
    »Wie bitte?«, sagte ich und entfernte einen meiner Ohrhörer.
    »Maker’s Mark«, sagte sie, »Whiskey.« Sie nahm die Flasche aus dem Handkoffer unserer Mutter und hielt sie, als rechnete sie damit, etwas darin Schwimmendes zu entdecken, ins Licht.
    »Stell ihn wieder hin.«
    »Wie bitte?«
    »Du sollst nicht trinken«, sagte ich.
    »Wenn ich ein bisschen Wasser nachschütte, kommen die nie drauf.«
    »Deshalb doch nicht«, sagte ich. Die First-Response-Schachtel hatte ich in einem Mülleimer in Biloxi gefunden, die Beschriftung nach oben, als wollte sie gefunden werden. An dem Tag hatte unser Vater schon nach wenigen Stunden angehalten, und wir hatten den ganzen Nachmittag am Strand verbracht und Möwen gefüttert; sie hatten die Chips direkt aus unseren Händen gepickt. Als ich Elise ansprach, nahm sie das Plastikstäbchen aus ihrem Koffer und legte es auf den Tisch – die rosa Linien so grell, dass sie leuchteten. Dann rief sie bei Pizza Hut an und zahlte von ihrem eigenen Geld eine Halb-Veggie-halb-Wurst. Ich hatte keinerlei Fragen gestellt, wie weit sie sei oder ob sie es vielleicht behalten wolle. Wir aßen die ganze Pizza auf und schauten dabei Willie Wonka & The Chocolate Factory , die alte Version mit Gene Wilder. Die neue konnten wir nicht ausstehen, und wir hassten auch die Richtung, die Johnny Depps Karriere genommen hatte.
    »Das Leben entsteht bei der Empfängnis«, sagte ich.
    »Plapperst du immer alles nach, was die Leute dir erzählen?«
    »Ich habe lange darüber nachgedacht. Und es spielt keine Rolle, wann das Kind zum Kind wird. Wenn du ihm Zeit lässt, ist es ein Kind. Diese Diskussion darüber, wann genau es ein Kind wird, ist bescheuert.«
    »Ich will nicht drüber reden«, sagte sie.
    »Und du plapperst auch bloß alles nach, was man dir erzählt. Nur, dass es das Gegenteil von dem ist, was ich nachplappre.« Ich dachte, ich hätte da etwas Wichtiges gesagt, was sie bestätigte, indem sie gar nichts mehr erwiderte. Aber vielleicht würde sie das alles nicht durchmachen müssen – sie würde das Kind weder bekommen noch töten müssen –, weil wir errettet werden würden. Und nachdem wir errettet wären, würden große Stürme und Feuersbrünste die Erde heimsuchen, und die Erde würde explodieren, und wenn sie explodiert wäre, würde sie von einem schwarzen Loch aufgesaugt werden, und danach würde eine Stille herrschen, so still, dass sie einem das Trommelfell rauspustete.
    Ich wollte glauben, dass wir etwas Besonderes sind. Ich wollte alles glauben – den Himmel und das Glück und eine Freude, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte.
    »Okay«, sagte sie. »Das Leben entsteht bei der Empfängnis, und

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