Süßer König Jesus (German Edition)
Stück Schnur ab. Als ich rauskam, stand da ein alter Mann. Er fragte mich, ob die Toilette sauber sei und alles ordentlich funktioniere, und ich bejahte, und das freute ihn. Dann lief ich im Laden herum, spazierte kreuz und quer durch die Gänge, betrachtete Dinge, die ich gar nicht wollte – Motoröl, Kaffeefilter, Cracker, Imodium- und Motrin-Packungen. Mein Soldat war auf immer verschwunden. Nie würde ich bei einer Parade hoch oben auf seinen Schultern thronen, beschützt vor allem und jedem.
***
Kaum waren wir wieder auf der Straße, färbte sich der Himmel grün und Blitze zerrissen ihn in zwei Hälften. Solche Blitze hatte ich lange nicht mehr gesehen, vielleicht überhaupt noch nie, auch wenn ich mal, als mein Vater und ich Elise von ihrem Training abholten, in der Ferne einen dahinwirbelnden Tornado gesehen hatte. Sobald der Trichter außer Sicht war, kam mir das Ganze vor wie ein Traum.
Der Wind drückte den Wagen von einer Seite zur anderen. Er fegte den ganzen Plunder, Taschen und Kartons von den Ladeflächen der Pick-ups, und mein Vater umschiffte sie vorsichtig, aus Rücksicht auf etwaige Inhalte.
Ein paar fette Tropfen klatschten auf die Windschutzscheibe, dann ein Moment der Stille, während wir auf den großen Guss warteten.
Der Regen setzte jäh ein und trommelte heftig auf den Wagen. Unser Vater bremste, fuhr Schritttempo und schaltete, während die Achtzehntonner weiter an uns vorbeirasten, die Warnblinkanlage ein. Die Scheiben beschlugen, und er schrie unsere Mutter an, sie solle sich drum kümmern, also fummelte sie am Temperaturregler herum: heiße Luft schoss heraus, gefolgt von eiskalter.
Ich schnallte mich ab und rutschte nach vorn, den Kopf zwischen ihren Schultern.
Außer Bremslichtern und ab und an ein Stück weißen Mittelstreifens war nichts zu erkennen.
Mein Vater fuhr an die Seite und stellte den Wagen auf Parken.
»Uns knallt noch einer hintendrauf«, sagte meine Mutter, während die vorbeifahrenden Fahrzeuge unsere Türen durchrüttelten.
»Der Seitenstreifen ist breit«, sagte mein Vater. Er war wirklich breit, viel breiter als die in Alabama. Die Autos nutzten ihn zum Überholen oder als zusätzliche Abbiegespur. Zum Befahren dieses breiten Seitenstreifens gab es ausgefeilte Richtlinien, die wir noch nicht verstanden hatten.
Meine Mutter schob meinen Kopf wieder nach hinten, wie sie das mit Cole immer getan hatte. »Schnall dich wieder an«, sagte sie.
Ich schnallte mich an und schaute zum Fenster hinaus. Ich mochte es, dem Verlauf der Tropfen an der Scheibe zu folgen, aber jetzt war sie nur verschmiert.
Elise legte ihre Füße auf meinen Schoß, wollte massiert werden.
»Warum? Sind sie geschwollen?«, fragte ich und berührte einen glatten, roten Zehennagel. Sie boxte mich so heftig, dass ich am nächsten Morgen wahrscheinlich einen blauen Fleck am Arm haben würde. Ich bekam schnell blaue Flecken, als sei ich das Berührtwerden so wenig gewohnt, dass alles sofort eine Spur hinterließ. Ich schloss die Augen. Wenn ich durch die geschlossenen Lider hindurch einen Blitz sah, zählte ich die Sekunden bis zum Donner.
Etwas später ließ der Regen nach, und unser Vater bog wieder auf die Straße ab, doch wie zuvor waren nur Bremslichter zu sehen und immer mal wieder ein Stückchen weiße Linie.
»Es fällt schwer, zu glauben, Noah sei der einzige Mensch gewesen, der es wert war, gerettet zu werden«, sagte Elise.
»Wenn ER Noah für den einzigen Menschen hielt, der es wert war, gerettet zu werden, dann war er es auch«, sagte unser Vater.
»Ich meine, wie viele Menschen haben denn damals gelebt? Und die sollen alle schlecht gewesen sein? Das ist wirklich schwer zu glauben.«
Ich drückte meine Stirn an die Scheibe und schlug sie sachte dagegen, und dann argumentierte Elise mit wissenschaftlichen Beweisen gegen die Flut, und, auch wenn ich nur widerwillig zuhörte, es schienen handfeste Beweise zu sein, und als unser Vater darlegte, was mit »die Welt« überhaupt gemeint war – er sprach von uraltem Holz und sieben verschiedenen Muschelarten –, kam mir sein Beweis ebenso handfest vor.
Elise wurde wütend – sie wurde immer zuerst wütend –, und er sagte: »Warum sparen wir uns das Thema nicht für heute Abend auf, wenn wir aus dieser Sintflut, dieser Exundation raus sind?«
Ich überlegte, ob er Exundation wohl richtig aussprach. Ich hatte es noch nie aus seinem Mund gehört. »Ich will es nicht bis heute Abend aufsparen«, mischte ich mich ein. »Ich
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