Süßer König Jesus (German Edition)
zurückkommen. Ich war müde, wusste aber, ich würde schon allein deshalb schlecht schlafen, weil ich ununterbrochen daran dachte, wie sehr ich diesen Schlaf nötig hatte, und genau das ist es ja, was man nicht darf.
Man sollte einfach sein Ding machen, als ob man voll wach sei. Sollte sich so lange als möglich vom Bett fernhalten. Ich würde wahrscheinlich vier oder fünf Stunden lang schlafen, dann aufwachen, wenn es draußen noch dunkel war, würde im Bett liegen und auf die Vögel warten. Jeden Morgen klangen die Vögel anders, weil es andere Vögel waren.
Die Tür des Zimmers gegenüber öffnete sich. Ein Mann: schwarz und muskulös, groß, haarlos und hübsch. Er sah aus wie der Star einer Seifenoper.
Einen Moment lang stand er da, hinter ihm brannte Licht. Er drehte sich um und redete mit einer auf dem Bett liegenden Frau. Sie war plump und weiß, hatte lange dunkle Haare und trug nichts als einen Slip. Sie gab dem Mann durch Zeichen zu verstehen, er solle die Tür schließen, doch er ließ sie offen, ging zu seinem Auto hinüber und nahm etwas aus dem Kofferraum. Dann lief er in dieselbe Richtung wie Elise – Richtung Bar und Tankstelle –, und die Frau stieg mit schwingenden Brüsten aus dem Bett und knallte die Tür zu.
Einen Moment später kam Elise über den Parkplatz zurück, in der Hand eine Papiertüte. Ihre Zigarette glühte auf, als sie dran zog. Sie hatte eine gefälschte ID , in der ihr Alter mit einundzwanzig angegeben war. Einmal sollte ich sie ihre neuen Daten abfragen: Größe, Gewicht, Geburtsdatum. Sie kannte sogar das Autokennzeichen auswendig, eine so lange Ziffer, dass es nur verdächtig war, wenn sie sie einfach so herunterrasselte.
Sie setzte sich neben mich.
»Du siehst aus wie ’ne Obdachlose«, sagte ich.
»Ein obdachloser Mann hat es mir gekauft«, sagte sie und nahm einen Schluck. »Oder vielleicht war er gar nicht obdachlos. Er hatte eine Kundenkarte.«
»Und wo ist deine ID ?«
»Ich seh überhaupt nicht aus wie dieses Mädchen«, sagte sie. Sie rückte die Beine auseinander und platzierte die Dose dazwischen, ihr Feuerzeug und ein Päckchen Menthol-Zigaretten. Sie rückte sie noch weiter auseinander, fast bis zum Spagat, und mir fiel ein, wie ich als Kind, als mein Körper sich noch ganz leicht verbiegen ließ, immer die unbequemsten Positionen einnahm.
»Ich dachte, wir wollten Pizza bestellen«, sagte ich.
»Da drüben gibt’s eine ganze Theke voll gebratenem Mist – wenn du willst, geh ich rüber und hol dir was. Taquitos, Chicken Nuggets, Kartoffelecken …«
»Schon gut«, sagte ich.
Sie drückte ihre Zigarette an der Unterseite ihres Flip-Flops aus und schnipste sie auf den Parkplatz. »Texas versteht keinen Spaß«, sagte sie.
Der Glatzkopf tauchte wieder auf, in seinen Armen hielt er eine Tüte.
»Als ich im Laden an dem vorbeilief, hat er sich umgedreht und mich angegrunzt«, sagte sie.
»Und wie hast du reagiert?«
»Wie wohl? Ich hab ihn ignoriert. Man kann sie nur ignorieren, sonst fühlen sie sich bestätigt.«
Der Mann öffnete die Tür zu seinem Zimmer, und bevor er sie schloss, warf er uns einen Blick zu. Ich überlegte, wie er wohl mit der Frau sprach – ob sie liebevoll miteinander umgingen oder sich anbrüllten und scheußliche Dinge sagten. Wahrscheinlich waren sie auf Drogen, wie meine tote Cousine. Und so wie sie hatten sie wohl auch mal ein normales Leben gelebt, mit normalen Familien, von denen sie geliebt wurden, und dann waren sie einfach in eine falsche Spur geraten. Vielleicht aber war auch alles immer schon so gewesen, wie es war, und sie kannten nichts anderes. Das Leben war gemein, und die Leute waren gemein, und für Freundlichkeit war kein Platz.
Elise zündete sich noch eine Zigarette an und wählte Dans Nummer. Er nahm nicht ab, also hinterließ sie ihm eine Nachricht, sagte, sie fühle sich furchtbar, absolut schrecklich. Dann sah sie nach, was die Florida-Pilgergruppe gerade tat. »Greta hat einen kleinen Blechschaden gebaut«, sagte sie, »hat einen Scheinwerfer demoliert. Jetzt zeigen ihr alle den Finger.«
»Wetten, dass sie es genießt.«
»Jetzt mal im Ernst. Warum sind all diese Leute derart unattraktiv? Fromm sein ist doch keine Entschuldigung dafür, dass man sich dermaßen gehen lässt.« Sie gab mir ihr Handy, und ich sah mir die Frau an: Übergewicht, graues Haar, beiger Regenmantel.
»Vielleicht ist sie einfach unattraktiv und fromm, und beides hat nichts miteinander zu tun«, sagte ich.
»Na, ich
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