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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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ihn herabzuholen. Sie war gar nicht so fett, hatte aber einen unverhältnismäßig großen Arsch, und ich überlegte, warum sie nichts dagegen unternahm, zum Beispiel eine Diät machte oder irgendwelche gezielten Übungen.
    »Und wie geht das jetzt?«, fragte ich. »Ich meine, wie wirken sie?«
    »Gute Träume schlüpfen durch das Loch in der Mitte und gleiten an den Federn hinab zum Schlafenden«, sagte sie in einem Ton, als habe sie es schon hundert Mal gesagt. »Schlechte Träume bleiben hier in dem Netz hängen. Hast du viele schlimme Träume?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich weiß nicht, wie viel schlimme Träume normal sind.«
    »Ich habe nie schlimme Träume.«
    »Ich träume manchmal, dass mir die Zähne ausfallen.«
    »Du hast Angst, nicht attraktiv zu sein«, sagte sie. »Oder du bist sexuell frustriert, aber das bedeuten sie ja scheinbar alle.«
    Das irritierte mich. Ich sah viel besser als sie aus – neun von zehn Jungs würden mich ihr vorziehen, oder wenigstens acht.
    »Ich befass mich viel mit Traumdeutung«, sagte sie. »Erzähl mir noch einen, und ich sag dir, was er bedeutet.«
    »Mir fällt keiner mehr ein«, sagte ich.
    »Ach, komm schon.«
    »Manchmal träume ich, dass ich eine Schatztruhe voller Gold finde.«
    »Hmm«, sagte sie und zog die Mundwinkel nach oben. »Du bist gerade dabei, irgendetwas Wichtiges, das du bisher vor dir versteckt gehalten hast, hochzuholen. Natürlich kann es auch noch was anderes bedeuten. Müsste ich in meinem Buch nachschauen.«
    Sofort überlegte ich, ob ich als Kind missbraucht worden war und es verdrängt hatte. Wenn man etwas Wichtiges in sich entdeckte, schien das ja grundsätzlich der Fall zu sein. Niemand entdeckte je etwas Gutes. Ich gab ihr mein Geld, steckte den Finger durch die Öse und ging, ohne zu danken, hinaus. Das verstieß gegen alles, das man mir je beigebracht hatte, und es fühlte sich sehr befreiend an.
    Elise saß immer noch auf der Bank. »Ein Traumfänger«, sagte sie, indem sie ihre Zigarette auf dem Boden ausmachte.
    Ich erklärte ihr, wie er funktionierte, dass die schlechten Träume im Netz hängenblieben und die guten an den Federn herabglitten.
    Sie steckte einen Finger in die Öffnung und wackelte darin herum.
    Meine Träume sind zurzeit ziemlich kaputt. Als ob sie da weitermachen, wo in der Nacht vorher einer aufgehört hat.
    Die Tür zu einem der Aufzüge stand offen, wir traten ein – und waren für uns. Ich schaute mich im Spiegel an, erst in einem, dann drehte ich mich, sah mich im nächsten, im übernächsten. Eines Tages würde ich in einem Haus völlig ohne Spiegel leben, kein einziger Spiegel würde mich an mich selbst erinnern. Es war toll, wenigstens dran zu denken: ein eigener Ort, an dem ich tun und lassen konnte, was ich wollte. Ich könnte Bars besuchen und Bier trinken oder tagelang vom Bett aus die Wiederholungen von Friends anschauen, und keiner würde was sagen. Ich könnte Pizza bestellen und im Pyjama zur Tür gehen. Kurz bevor der Lift anhielt, sprang ich in die Luft, ich wollte spüren, wie mir der Boden entgegenkam.
    Vor der Zimmertür fand Elise ihren Schlüssel nicht. Sie schüttete ihre Handtasche auf dem Teppichboden aus, schüttelte sie und stülpte dann noch den Futterstoff um.
    »Was machst du denn? Ich hab doch einen.«
    Die Frau gegenüber öffnete ihre Tür und stellte wieder ein Tablett auf den Boden. Sie trug einen weißen Bademantel, rosa Schaumgummi-Lockenwickler im Haar. Sie schloss die Tür, und Elise kroch hinüber und nahm sich die intakte Hälfte eines unangetasteten Sandwiches. »Ich glaube, da ist Truthahn drauf«, sagte sie und warf es durch den Flur.
    »Los, heb es auf«, sagte ich, sammelte ihr Zeug zusammen und strich mit den Händen über den Teppichboden, um sicher zu sein, dass mir auch keine Haarklammer und kein Kleingeld entging. Die Schokolade unter meinen Fingernägeln sah aus wie Dreck.
    »Willst du die Vögel sehen?«, fragte sie. »Komm, wir gehen die Vögel anschauen.«
    »Sie schläft wahrscheinlich.«
    »Ich möchte, dass sie in meinen Haaren landen.« Sie drehte sich auf den Rücken, breitete Arme und Beine aus, dann fasste sie sich leicht an den Kopf.
    »Steh auf.«
    »Du wirkst komisch aus dieser Perspektive«, sagte sie und lachte. Ich ließ sie liegen und ging in unser Zimmer, stellte ihr Essen und die Handtasche aufs Bett.
    Ich legte den Traumfänger auf meine Tasche und sah ihn an. Ich kaufte fast nie etwas für mich selbst und so etwas

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