Süßer König Jesus (German Edition)
Dekoratives schon gar nicht. Ich konnte kaum abwarten, bis wir zu Hause waren und ich den passenden Platz fand, an dem ich ihn aufhängen konnte. Das Telefonlämpchen blinkte rot – eine Nachricht von unserer Mutter.
Als ich noch mal rausging, um Elise zu holen, war sie schon im Zimmer der Vogel-Frau. »Komm rein und schließ die Tür«, sagte die Frau. Sie lag in einem weiten, violetten Kleid im Bett, Luke mit freiem Oberkörper auf einer Pritsche am Fenster.
Elise öffnete den mittleren Käfig, und ich ging hinüber und kniete mich neben sie. Die Vögel blieben, wo sie waren, jeder auf seiner Seite, die Köpfe in ihren Körpern verborgen.
»Ich glaube, sie schlafen«, sagte sie.
»Wir schlafen alle«, sagte Luke.
»Was, wenn sie die anderen Vögel sehen?«, fragte ich. »Ich dachte, sie flattern und drehen durch.«
»Wart’s ab«, sagte Luke.
»Das geht schon okay«, sagte die Frau.
»Kommt hierher, Vögelchen«, sagte Elise. »Hübsche Vögelchen, süße Vögelchen.« Sie rief sie, als riefe sie einen Hund, klopfte sich dabei auf die Knie. Ich spürte Lukes Blicke auf uns ruhen. Wahrscheinlich erinnerten wir ihn an all die Mädchen, die ihn nie gemocht hatten – Mädchen, die sich in der Volksschule über ihn lustig gemacht hatten und später dann nicht mal mehr das. Elise rief lauter.
»Halt doch mal einen Moment die Klappe«, sagte ich und nahm ihre Hand. Wir rückten ein Stück vom Käfig weg und warteten. Ich schaute rüber zu Luke auf seiner Pritsche unter seiner hauchdünnen weißen Decke. Er hatte sich nur halb zugedeckt, und seine Brüste – man konnte sie nur Brüste nennen – hingen an ihm herab. Sie unterschieden sich von Frauenbrüsten, denn es fehlte ihnen die Füllung, die ihnen Form verliehen hätte.
Endlich kam ein Vogel herausgeflogen und setzte sich auf den Fuß der fetten Frau. Er schaute sich mit seinem ruckhaften Vogelhals um, bevor er, als vermesse er das Zimmer, von einer Wand zur anderen flog.
»Der hier pickt schon gerne mal«, sagte sie. »Nicht schlimm, nur kleine Schnabelhiebe aus Liebe.« Der Vogel flog zurück zu ihrem Fuß und führte es vor, und die Frau quiekte und warf ihren Kopf hin und her.
»Ich will, dass er mich auch pickt«, sagte Elise.
Und dann kam der nächste Vogel aus dem Käfig, und beide flogen los, setzten sich, um uns zu betrachten, oben auf den Fernsehschrank. Es erinnerte mich daran, wie ich mich als kleines Kind immer auf Tische und Stühle gestellt hatte, um einen anderen Blick auf die Dinge zu bekommen. Das hatte meine Perspektive auf äußerst angenehme Weise verändert. Ich lehnte mich an die Wand und sah ihnen zu. Am Anfang des Sommers, während eines Spaziergangs mit Cole durch die Nachbarschaft, war ein junger Vogel aus seinem Nest gefallen und genau vor unseren Füßen gelandet. Fast wäre ich draufgetappt. Ich war überzeugt, es war eine Art Omen, wie eine schwarze Katze in dunkler Gasse, nur tausendmal schlimmer. Er war tot, glatt und augenlos.
Als ich Luke ansah, wich sein Blick zur Seite aus. Er war so der Typ, der in einer Bibliothek oder im Kino wahllos in die Menge schoss, so einer, der hinterher nicht mal den Mumm hat, sich selbst zu erschießen. Er würde sich das Gewehr in den Mund stecken und herausziehen, reinstecken und rausziehen, und dann eventuell in Tränen ausbrechen. Eines Tages würde ich ihn im Fernsehen sehen.
Gleichgültig, wie sie nach ihnen rief oder wie still und geduldig sie wartete, die Vögel kamen einfach nicht zu Elise.
Sie stand auf und streckte ihre Arme wie eine Vogelscheuche aus, aber sie flogen nur in einem noch weiteren Bogen um sie herum.
***
Wir stiegen ins Bett und öffneten die vom Käse völlig durchweichte und pampige Frittenschachtel.
»So einen orangeroten Käse hab ich noch nie gesehen«, sagte ich. Ich steckte einen Finger in die kalte Schmiere.
»Das heißt, er hat viele Nährstoffe«, sagte sie.
Oder, dass er giftig ist, dachte ich. »Mama hat angerufen«, sagte ich. »Wir sollten sie zurückrufen.«
»Ruf du sie an.«
»Auf meinem Handy hat sie auch angerufen. Wahrscheinlich flippt sie total aus.«
»Dann ruf die Frau doch an.«
Wir aßen und schauten Anderson Cooper, unsere zerknitterten Kleider bis zu den Schenkeln hochgeschoben. Elise unterbrach ihre Mahlzeit, um mir zu berichten, dass Andersons Bruder sich umgebracht habe. Er hing am Fensterbrett eines Hochhauses und sagte: »Ich fühle nichts mehr.« Und dann ließ er los. Sie sagte, er sei hübsch gewesen und reich und
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