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Sueßer Schmerz

Sueßer Schmerz

Titel: Sueßer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Renee Jones
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Ziehen in meinem Bauch kann ich nicht ignorieren.
    Bevor ich meinen Besucher begrüße, halte ich inne und lege die Hände an die Wangen. Sie müssen flammend rot sein, und ich hoffe, dass – wer auch immer vor meiner Tür steht – einfach wieder gehen wird. Dafür gelobe ich im Stillen, nicht weiter in dem Tagebuch zu lesen, auch wenn ich weiß, dass die Versuchung stark sein wird. Gütiger Gott, ich fühle mich so, wie Ella sich anscheinend gefühlt hat, als sie die Szene in dem Tagebuch durchlebte – als sei ich diejenige, die sich an einen erregenden Moment und dann einen nächsten klammert. Offensichtlich sollten achtundzwanzig Jahre alte Frauen nicht fünf Jahre lang auf Sex verzichten. Das Schlimmste an der Sache ist jedoch, dass ich in die Privatsphäre einer Person eingedrungen bin, die mir etwas bedeutet.
    Es klopft abermals, und ich muss mir eingestehen, dass mein Besucher wohl nicht einfach weggehen wird. Ich rufe mich zur Ordnung und ziehe am Saum des schlichten hellblauen Kleids, das ich heute für den letzten Englischkurs der zehnten Klasse der Sommerschule angezogen habe. Ich hole Luft und öffne die Tür, und ein kühler Schwall der ganzjährig kühlen Nachtluft von San Francisco fährt durch die losen Strähnen meines langen brünetten Haars, die mir aus dem Knoten im Nacken gerutscht sind. Glücklicherweise kühlt die Brise auch meine fiebrig heiße Haut. Was ist los mit mir? Wie kann ein Tagebuch eine so heftige Wirkung auf mich haben?
    Ohne auf eine Einladung zu warten, rauscht Ella an mir vorbei, in einem Schwall nach Vanille duftenden Parfums und mit roten, federnden Locken.
    »Da ist es ja«, sagt Ella und schnappt sich ihr Tagebuch vom Couchtisch. »Ich dachte mir doch, dass ich es hiergelassen habe, als ich gestern Abend vorbeigekommen bin.«
    Ich schließe die Tür, überzeugt, dass meine Wangen erneut brennen, denn ich weiß jetzt mehr über Ellas Sexleben, als ich sollte. Ich kann mir nicht erklären, was mich dazu verleitet hat, dieses Tagebuch zu öffnen, was mich geritten hat, weiterzulesen. Was mich selbst jetzt noch dazu bringt, mehr lesen zu wollen.
    »Das ist mir gar nicht aufgefallen«, sage ich und wünsche mir sofort, ich könnte es zurücknehmen. Ich mag Lügen nicht. Ich habe genug Leute gekannt, die welche erzählt haben, und weiß, wie verheerend das sein kann. Es gefällt mir wirklich nicht, wie leicht mir diese Lüge über die Lippen gegangen ist. Schließlich geht es um Ella, meine Nachbarin, die mir im vergangenen Jahr zur Vertrauten geworden ist, zu der jüngeren Schwester, die ich niemals hatte. Zusammen sind wir die Familie, die keiner von uns hat, oder vielmehr, die keiner von uns in Anspruch nehmen konnte. Voller Unbehagen fasele ich weiter, eine schlechte Angewohnheit, die durch Nervosität verursacht wird, und anscheinend auch durch Schuldgefühle. »Ein langer Unterrichtstag«, füge ich hinzu, »und ich habe haufenweise Papierkram, den ich für die Sommerschule fertig machen muss. Sei froh, dass du dieses Jahr drum herumgekommen bist. Waren allerdings wieder ein paar großartige Kids dabei, mit denen es wirklich Spaß gemacht hat.« Ich schürze die Lippen und rede mir ein, dass ich genug gesagt habe, stelle aber fest, dass ich nicht umhin kann fortzufahren: »Ich bin erst vor ein paar Minuten nach Hause gekommen.«
    »Nun, Gott sei Dank hast du ja jetzt etwas Zeit«, sagt Ella und nimmt das Tagebuch an sich. »Ich habe das hier gestern Abend mitgebracht, weil wir vorhatten, uns diesen Frauenfilm anzusehen. Ich wollte dir ein paar Seiten vorlesen. Aber dann hat David angerufen, und du weißt ja, wie das ausgegangen ist.« Ihre Mundwinkel wandern nach unten, und Schuldbewusstsein schwingt in ihrer Stimme mit. »Ich habe dich wie eine sehr schlechte Freundin einfach allein gelassen.«
    David ist ihr heißer neuer Freund, ein Arzt. Was David von Ella will, bekommt er. Und erst jetzt weiß ich,
wie
wahr das ist. Ich betrachte Ella einen Moment lang. Mit ihrer taufrischen, jugendlichen Haut und bekleidet mit ausgewaschenen Jeans und einem lilafarbenen T-Shirt sieht sie eher aus wie eine meiner Schülerinnen und nicht wie eine fünfundzwanzigjährige Lehrerin. »Ich war ohnehin müde«, versichere ich ihr, aber ich mache mir Sorgen, dass sie mit diesem Mann, der zehn Jahre älter ist als sie, überfordert sein könnte. »Ich musste ins Bett, um für den Unterricht heute fit zu sein.«
    »Nun, der Unterricht ist jetzt zum Glück vorbei.« Sie deutet auf das

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