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Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Mann hatte Kate das Gefühl, Patrice viel nähergekommen zu sein. Deine Tochter führt das neue Leben, hätte Kate gern zu Patrice gesagt: Akademikergatte, der jeden Moment genießt, den er mit dem Baby verbringen kann, so als wäre ihm durch irgendein Wunder eine ungeahnte Erfahrung beschert.
    Wer hätte wohl je geahnt, daß ein Baby zu versorgen einem jungen Mann ein ähnliches Gefühl vermitteln könnte, wie die Südsee Gauguin? Und Sarah selbst, Ärztin und Mutter, liebte ihren Mann mit einer Art fassungslosem Staunen. Kate erinnerte sich noch gut, wie sie in ihren ersten Ehejahren für Reed Ähnliches empfunden hatte. Im Grunde, dachte Kate, weiß niemand, was die Ehe eigentlich bedeutet, aber entweder stellt sich die Liebe gleich zu Beginn ein oder nie. Und wenn sie sich nicht einstellt, dann können Toleranz und geteilte Freuden ein recht akzeptabler Ersatz sein. Nun, was Sarah betraf – bei ihr hatte die Liebe begonnen.
    Sarah – um mit dem abscheulichen Jargon der heutigen Jugend zu sprechen – hatte alles. Was hätte Patrice von einer solchen Ausdrucksweise gehalten? Nun, Patrice hätte gewußt, daß niemand, der offenbar alles hat, selbst davon überzeugt ist. Das Gefühl, alles zu haben, gilt jeweils der Zukunft oder Vergangenheit, niemals der Gegenwart. Wenn all die Ziele, denen man hinterherjagt, erreicht und erledigt sind, so hätte Patrice wohl mit einer der Gestalten Virginia Woolfs gesagt: was dann?
    Dann, vielleicht, für einen Moment, hatte man alles.
    Als Kate ging, war Sarah mit ihr zur Tür gekommen, hatte eine Weile im Flur gestanden und nach Worten gesucht. Kate kannte den Zustand. »Es war nicht leicht«, hatte Sarah Kate angelächelt, »eine Mutter wie Patrice zu haben. In vieler Hinsicht war es natürlich auch einfach. George und mir wurde mit der Zeit klar, daß uns eine Menge Schwachsinn erspart geblieben ist. Zuerst in der High School und später im College konnten wir beide nicht fassen, was für einen Schlamassel die meisten Eltern aus ihrem eigenen Leben und dem ihrer Kinder machen. Aber meine Mutter war eine so starke Persönlichkeit. Sie wollte es zwar bestimmt nicht, aber sie haute einen mit der Gewalt einer Sturmböe um. Und für mich als ihre Tochter war das oft nicht so ohne. Ich glaube, für George war es ein bißchen einfacher. Ich liebte und bewunderte meine Mutter, aber – vielleicht weil ich ein 75

    Mädchen war und die Erstgeborene, war etwas zwischen uns, das ihr eine Macht über mich gab, die ich haßte. Oh, sie hat diese Macht nie ausgenutzt, jedenfalls nicht bewußt. Aber ich glaube nicht, daß ihr klar war, was sie allein durch ihre Gegenwart ausrichtete, welche Wirkung das kleinste Wort von ihr hatte. Ach, ich merke, ich kann mich nicht richtig erklären. Und dann, als es so aussah, als hätte sie es vorgezogen zu sterben, als an dem wieder aufgetretenen Krebs zu leiden, war ich traurig, sogar verzweifelt, aber auf eine Art, die wohl nur wenige Menschen verstehen, war ich auch erleichtert. Ich meine, sie hatte den Tod gewählt, sie wollte nicht weiterleben und durch Krankheit oder Alter erniedrigt werden. Ich wußte, sie würde mir meine Gefühle nicht vorwerfen. Ich hatte mehr Raum, als sie nicht mehr da war. Und ich war frei, sie zu lieben. Wie unverständlich Ihnen das alles vorkommen muß.«
    »Kein bißchen«, hatte Kate ihr versichert, die im Mantel dastand und sich fragte, warum schwierige Dinge sich leichter an ungewöhnlichen Orten und zu ungeplanten Zeiten aussprechen ließen. »Wie ich Ihnen schon sagte, ich kann mir nur schwer vorstellen, wie es gewesen sein muß, eine solche Mutter zu haben.
    Aber den Rest kann ich mir vorstellen; ich verstehe, wie Sie sich gefühlt haben.«
    »Aber sehen Sie, jetzt, wo wir diesen letzten Abschnitt ihres Tagebuchs gefunden haben, wissen wir ja, daß sie keinen Krebs hatte, sich deswegen also nicht hat umbringen wollen. Und noch mehr: Das Vertrauen, das zwischen uns war, das Vertrauen, das ich glaubte, in ihrem Abschiedsbrief zu sehen, war ja in Wirklichkeit nicht da. Sie schrieb nicht die Wahrheit. Und ich merke, daß ich unbedingt wissen muß, was geschehen ist. Oder, wie die Psychoanalytiker sagen würden: meine Trennungsängste sind neu aufgelebt.«
    »Kam Ihnen denn nie in den Sinn, nach ihrem Tod der Sache mit dem Krebs nachzugehen?« hatte Kate gefragt. »Als Ärztin, meine ich, oder auch als Tochter?«
    »Nein, weder als das eine noch das andere. Es ist mir einfach nicht der Gedanke gekommen. Aber jetzt muß

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