Süßer Tod
ein.
»Mr Fordyce, sie wiederholen es jetzt.«
Die Assistentin von Attorney General Cobb Fordyce zog den Kopf aus der Tür und ließ ihn in seinem Büro allein. Er hatte sie gebeten, ihm Bescheid zu sagen, wenn Britt Shelleys Auftritt noch einmal ausgestrahlt würde.
Er drehte den Stuhl zu dem Walnussschränkchen hinter dem Schreibtisch und schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher ein, um sich die Pressekonferenz anzusehen, die während seiner Mittagspause übertragen worden war und die er verpasst hatte.
Cobb kannte Britt Shelley nicht persönlich, nur beruflich. Sie war eine Jungreporterin gewesen, als er damals in sein Amt gewählt worden war, und hatte genauso Karriere gemacht wie er. Oft berichtete sie für ihren Sender aus dem State Capitol von South Carolina, dabei hatte er sie beobachten können.
Sie war eine zähe, aber faire Interviewerin und deutlich besser als alle anderen Reporter ihres Senders, besser als der ganze Nachrichtensender überhaupt, weshalb es ihm unverständlich war, warum sie nicht längst von einem größeren Sender abgeworben worden war.
Außerdem hätte er gern gewusst, ob sie ihr attraktives Aussehen absichtlich herunterspielte, um nicht von ihrer Story abzulenken oder unglaubwürdig zu wirken. Als Charleston im letzten Jahr von einem Hurrikan bedroht worden war, hatte sie live darüber berichtet, in eine Regenjacke gepackt, die Kapuze eng unter dem Kinn verknotet und das Gesicht durch den sturzbachartigen Regen komplett abgeschminkt. Nicht besonders glamourös.
Sie war keine Primadonna und keine Mimose. Jedenfalls hatte sie nicht wie eine gewirkt, als sie vor ihren Kollegen gestanden und verkündet hatte, dass sie sich an nichts mehr erinnern könne,
nachdem sie Jay Burgess’ Haus betreten hatte. Dann hatte sie behauptet, dass ihr vermutlich Drogen verabreicht worden seien.
Sie wusste sich auszudrücken, war ernst und glaubhaft. Aber falls ihre Urinanalyse negativ ausfiel, könnte ihr Anwalt kaum beweisen, dass sie unfreiwillig Drogen eingenommen hatte, die einen Gedächtnisverlust auslösten.
Der Anwalt schien sich dessen bewusst zu sein. Er wirkte verlegen und unsicher, was die Behauptung seiner Mandantin anging. Er sah aus, als hätte er Verstopfung. Er kam Fordyce vor wie einer jener halbherzigen Anwälte, die den Staatsanwälten letztendlich in die Hände spielten.
Sie hingegen war das Selbstvertrauen in Person. Natürlich wusste sie, wie man eine Kamera zu seinen Gunsten nutzt. Cobb hatte darin selbst Erfahrung. Sie wusste, wie sie mit den Gefühlen ihrer Zuhörer spielen musste. Auch das konnte er nachvollziehen.
Die Pressekonferenz endete mit ihrer Versicherung, sie wolle unbedingt erfahren, woran Jay Burgess gestorben war. Sie sagte das so nachdrücklich, dass Cobb Fordyce ihr trotz seiner beruflich bedingten Skepsis als oberster Staatsanwalt in South Carolina glaubte.
Gerade als er den Fernseher ausschalten wollte, begann der Lokalsender live über die neuesten Entwicklungen in dem Fall zu berichten. Der Pressesprecher des Charleston Police Department war gefragt worden, ob Britt Shelley unter Arrest stehe. »Auf gar keinen Fall«, erwiderte er. »Bis jetzt weist nichts darauf hin, dass Jay Burgess durch Fremdeinwirkung gestorben ist.«
Eine Standardreplik , dachte Cobb.
»Jay Burgess ist im Schlaf gestorben. Mehr wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.«
Das kaufte Cobb ihm nicht ab. Sie wussten ganz bestimmt mehr. Irgendetwas trieb sie an. Vielleicht nur eine Ahnung. Aber irgendetwas hatte Britt Shelley einen Höllenschrecken eingejagt, sonst hätte sie keinen Präventivschlag unternommen und eine
Pressekonferenz einberufen, um ihre Freundschaft zu Burgess zu bekunden und ihre tiefe Trauer über sein plötzliches Ableben auszudrücken – und dadurch ihre Unschuld zu beteuern.
Das Charleston Police Department war schön blöd, ihr die Möglichkeit zu geben, die Initiative zu ergreifen. Sie hätten sie unter ihren Fittichen behalten oder ihr wenigstens einen Maulkorb verpassen sollen. Zuzulassen, dass sie ihre Medienerfahrung zu ihrer Verteidigung nutzte, bevor der Fall auch nur eröffnet worden war, war ein grober Patzer.
Wieder wollte er gerade abschalten, als auf dem Bildschirm ein Lokalreporter zu sehen war, der vor dem State Capitol stand. Wenn Cobb aus dem Fenster geblickt hätte, hätte er wahrscheinlich die Übertragungswagen in einer langen Reihe am Straßenrand stehen sehen.
Genau das hatte er befürchtet und um jeden Preis
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