Süßer Tod
völlig die Orientierung
verloren, bis sie irgendwann die Ravenel Bridge überquerten. Ein paar Meilen später erreichten sie ihr Motel.
Raley stellte den Wagen hinter ihrer Hütte ab, stieg aus und stürmte zur Tür, doch immerhin hielt er sie ihr auf, auch wenn er Britt wütend anstarrte, während sie ihm hinterhereilte. Kaum war sie eingetreten, da knallte er die Tür zu und schob den Riegel vor.
Dann drehte er sich um und baute sich vor ihr auf. »Das war gefährlich und gedankenlos, Britt.«
»Aber es wird sie eine Weile aufhalten.«
»Mag sein.«
»Es war also nicht völlig gedankenlos, oder?«
»Auf jeden Fall war es viel zu riskant.«
»Ich glaube nicht. Außerdem war es ein gutes Gefühl, ihnen eins auszuwischen.«
»Ein gutes Gefühl? Sie hätten dich töten können!«
Er schien kurz davor, das selbst zu übernehmen. Auf seiner Stirn pulsierte eine Ader. Er presste die Fäuste an die Hüften. Zu ihrer Verteidigung sagte sie: »Ich musste irgendetwas unternehmen, Raley. Ich habe das Gefühl, völlig von dir abhängig und nutzlos zu sein, und das kann ich nicht ausstehen. Ich muss handeln . Ich will mich nicht allein auf dich …«
»Allein auf mich verlassen?«
»Genau! Oder auf irgendwen sonst. Ich bin das nicht gewöhnt. Ich habe immer für mich selbst gesorgt.«
»Dann nur zu.« Er entriegelte die Tür und schob sie auf. Das dunkle Rechteck, das sie dahinter erwartete, wurde nur von einem blinkenden roten Neonpfeil mit den Worten Zimmer frei durchbrochen, der über der Rezeption baumelte. Er hatte ihren Bluff durchschaut, und nun kam sie sich ziemlich albern vor. Wohin sollte sie, und wie sollte sie dorthin kommen, wenn sie jetzt ging? Sie hatte kein Geld und kein Auto.
Ihr Blick kehrte von dem flackernden Neonschild zurück zu Raleys Gesicht. Seine Lippen waren vor Wut blutleer. Sie bewegten
sich kaum, als er sagte: »Es ist schon einmal eine Frau meinetwegen gestorben. Ich möchte das kein zweites Mal erleben.«
»Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du mich entführt hast.«
Mit einem lauten Fluch knallte er die Tür zu, drehte den Riegel vor und pflügte sich mit den Fingern durchs Haar.
»Ganz recht«, sagte sie. »Vergiss nicht, dass du mich in diesen Schlamassel hineingezogen hast.«
Er senkte die Hände. Dann sah er sie zornig an und sagte leise und eindringlich: »Falsch. Du hast dich selbst hineingeritten, indem du Jay Burgess auf den Leim gegangen bist.«
Sie hielt seinem Blick ein paar Atemzüge lang stand, dann ging sie an ihm vorbei und griff nach der Plastiktüte mit den Sachen, die er für sie gekauft hatte. Sie nahm das Paket mit ins Bad, schloss die Tür und drehte den Riegel so energisch um, dass er es hören musste.
Als sie zehn Minuten später geduscht und mit gewaschenen Haaren herauskam, saß er auf dem Bett und starrte in den Fernseher. Der Ton war abgestellt. Er sah zu ihr auf. »Fertig?«
Sie nickte reserviert.
Er stand auf, nahm seine Sachen, ging ins Bad und schloss die Tür. Sie legte sich auf ihr Bett und versuchte, sich für die lautlose Wiederholung einer Serie zu interessieren, aber nach wenigen Minuten stand sie auf, stellte den Fernseher aus und ging von da an unruhig in der Hütte herum.
Sie hatten nur das Nötigste dabei, es gab auch nichts aufzuräumen oder zu lesen außer dem veralteten Telefonbuch, einer verstaubten Bibel und Raleys Akten, die sie so oft durchgesehen hatte, dass sie jede Seite praktisch aus dem Gedächtnis rezitieren konnte. Sie konnte nichts tun, außer auf den Morgen zu warten, auf die Fahrt nach Columbia und den Moment, in dem Raley den Attorney General beschuldigen würde, ein Schwerverbrecher zu sein. Und was dann?
Vor nicht einmal einer Woche hatte sie in einem tollen Job gearbeitet,
war prominent gewesen und respektiert worden und hatte Freunde gehabt, auf die sie zählen konnte. Jetzt war sie eine Journalistin, deren Glaubwürdigkeit für alle Zeiten in Zweifel stand. Mächtige Männer, die sogar ihre Freunde umbrachten, um ihre verbrecherischen Geheimnisse zu wahren, hatten sie ins Visier genommen. Sie war auf der Flucht und würde, falls sie gefasst wurde, wegen Mordes angeklagt. Was hielt die Zukunft wohl für sie bereit? Falls sie überlebte und überhaupt noch eine Zukunft hatte.
Die Tür zum Bad ging auf, und Raley trat heraus. Sein Haar war noch feucht. Er trug Kakishorts und kein Hemd. Die schmutzigen Kleider und die Reisetasche warf er neben dem Bett auf den Boden. Er fuhr sich mit der Hand über den
Weitere Kostenlose Bücher