Süßer Tod
Rücken abprallen. Als sie wieder in ihrem Büro war, fragte sie die Sekretärin, ob es etwas Neues gebe. »Nichts, Frau Richterin« war die Antwort.
»Keine Nachricht aus dem Krankenhaus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Auch keine aus Washington.« Leicht beschämt ergänzte sie: »Ich weiß, das mit Mr Fordyce ist wirklich schlimm, aber ich kann nicht anders, als mich für Sie zu freuen.«
Candy lächelte. »Mir ist auch ganz flau vor Aufregung. Darum brauche ich eine kurze Auszeit. Ich verschwinde ins Büro, um meine Dankesrede einzustudieren.« Das war ein glaubhafter Grund, um abzutauchen, und ihre Assistentin hinterfragte ihre Erklärung nicht.
Weil sie in ihrem Büro im Gericht dauernd abgelenkt wurde und ständig Anfragen bekam, zog sie sich öfter in ihre Klause zurück, wo sie konzentriert arbeiten, Ruhe finden oder sich zwischen
zwei Verhandlungen hinlegen konnte. Nur ihre Assistentin wusste von ihrem Privatbüro, und genau das war der Zweck des Ganzen. Dort würde niemand sie finden, wenn sie nicht gefunden werden wollte.
»Ich lasse das Handy an. Rufen Sie an, sobald Sie etwas Neues erfahren.«
»Selbstverständlich, Frau Richterin.«
Sie huschte durch eine Hintertür aus dem Gericht und hastete durch das vertraute Labyrinth von Gassen parallel zur Broad Street, bis sie etwa einen halben Block weit gekommen war. Dort tauchte sie aus einem schmalen Durchgang zwischen zwei Gebäuden auf und sah sich verstohlen um, ob die Luft rein war. Ein Lieferwagen rumpelte vorbei, doch danach gab es eine Lücke im Verkehr. Gerade verschwand eine Pferdedroschke voller Touristen um die Ecke. Immer noch drängten sich die Journalisten vor dem Gerichtsgebäude, aber niemand sah in ihre Richtung.
Sie überquerte mit langen Schritten die Straße und tauchte in eine winzige Gasse neben einem leer stehenden Bürogebäude. Das Haus stand eingepfercht zwischen den Nachbargebäuden, doch im Unterschied zu diesen war es noch nicht renoviert worden und dringend reparaturbedürftig. Es war sechs Stockwerke hoch, aber wie so viele Bauten in der Innenstadt von Charleston nur ein Zimmer breit, sodass man es leicht übersehen konnte, wenn man nicht darauf achtete.
Es war so alt und heruntergekommen, dass Farne aus den Mörtelfugen sprossen, die die uralten Backsteine der Außenmauern zusammenhielten. Die Richterin war die einzige Mieterin in diesem Gebäude und durfte ihr kleines Büro nur behalten, weil sie der Immobilienmaklerin, die das Grundstück seit Jahren an den Mann zu bringen versuchte, einmal einen Gefallen erwiesen hatte.
Auf der Rückseite des Gebäudes gab es eine verschrammte und verbeulte Eisentür. Dort wartete Britt Shelley in Jeans, T-Shirt und Baseballkappe gekleidet auf sie. Sie sah aus wie eine
Studentin auf dem Weg zum Sportplatz, wo sie ihr Team anfeuern wollte, und ganz und gar nicht wie eine Frau, die angeblich einen Mord begangen hatte und auf der Flucht vor dem Gesetz sowie vor einem Profikiller war.
Als Candy auftauchte, war der Reporterin die Erleichterung an ihrem breiten Lächeln anzusehen. »Gott sei Dank hat Raley Sie erreicht.« Atemlos presste sie die Hand auf die Brust. »Ich hatte solche Angst, dass er nicht durchkommen könnte. Ich bin gekommen, um mich Ihnen zu stellen.«
»Gehen wir erst einmal rein.« Candy schloss den Sperrriegel auf und schob Britt dann in das modrige, dämmrige und feuchte Treppenhaus. Dann drehte sie sich um und schaltete das Licht an, damit sie über den verdreckten Boden zur Eisentreppe fanden.
Britt machte die Kletterei weniger zu schaffen als Candy, die schwer keuchte, als sie endlich den obersten Stock erreicht hatten. Mit demselben Schlüssel wie unten öffnete sie die Tür zu ihrem Büro, das sie mit einem Schreibtisch, einer Couch für ihren Mittagsschlaf und einem Massagestuhl eingerichtet hatte.
Sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war, fragte sie: »Haben Sie die Neuigkeiten aus Columbia gehört, Britt?«
Ihr gepresster Tonfall entging der Reporterin nicht. Leicht nervös antwortete sie: »Wenn Sie mit Raley gesprochen haben, wissen Sie ja schon, dass wir den Termin um elf nicht abgewartet haben. Wir waren bei Fordyce zu Hause.«
»Tja, das ist leider nicht alles.« Candy nickte zu dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch hin. »Sie sollten sich lieber setzen.«
George war ganz offensichtlich betrunken. Raley hoffte, dass er zu betrunken war, um noch zielen zu können. Heimlich drückte er den Aufnahmeknopf am Camcorder, so wie Britt es ihm gezeigt
Weitere Kostenlose Bücher