Süßer Tod
Knie an die Brust gezogen und den Kopf darauf gelegt, weinte sie so laut, dass es von den Wänden widerhallte. Sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte.
Schließlich stieg sie aus der Wanne, machte sich bettfertig und ging dann durchs Haus, um überall die Lichter auszuschalten. Sie schielte durchs Wohnzimmerfenster, um sich zu überzeugen, dass bislang keiner ihrer Kollegen herausgefunden hatte, wo sie wohnte. Sie war nicht leicht aufzuspüren, denn Britt Shelley war nicht ihr wahrer Name, sondern ein Pseudonym. Ihre Steuererklärungen,
Verträge und Kredite liefen auf ihren Geburtsnamen.
Ihre Telefonnummer war unter keinem von beiden Namen aufgeführt, und die Post ließ sie sich an ein Postfach zustellen. Nur ihre engsten Vertrauten wussten, wo sie wohnte. Sie hatte nach ihrem letzten Besuch in der Polizeizentrale das Gebäude durch einen Hinterausgang verlassen und glaubte nicht, dass man sie verfolgt hatte. Trotzdem sah sie sicherheitshalber nach.
Die Straße lag still im Dunklen.
Im Nachhinein sollte sie sich wundern, dass sie überhaupt eingeschlafen war und dass sie vor allem tief genug geschlafen hatte, um das Piepsen der Alarmanlage zu überhören, als der Kontakt durchtrennt wurde, dass sie nicht einmal gespürt hatte, wie er sich über ihr Bett gebeugt hatte, sondern ihn erst wahrgenommen hatte, als er seine Hand auf ihren Mund presste.
»Mach sie aus.« Es knurrte direkt an ihrem Ohr. »Mach sie aus.«
Er drückte ihr die Fernbedienung für die Alarmanlage in die Hand. In Todesangst tippte sie auf den gummiüberzogenen Tasten herum und versuchte sich den Notfallcode ins Gedächtnis zu rufen, mit dem sie der Überwachungsfirma anzeigen konnte, dass sie den Alarm unter Zwang ausschaltete. Aber ihr wollte nur der Standardcode einfallen.
Wie lange piepste die Anlage schon? Wann würde der Alarm losgehen? Bitte, lieber Gott. Jetzt! Jetzt!
»Der Code.« Sein Atem wehte ihr in den Nacken. »Los.«
Über dem Rücken seines Handschuhs konnte sie die beleuchteten Tasten erkennen. Sie tippte den richtigen Code ein, und das Piepsen verstummte. Er entspannte sich, ein bisschen wenigstens, doch die Hand auf ihrem Mund entspannte sich nicht.
Mit der freien Hand schlug er ihre Decke zurück und zerrte sie aus dem Bett. Sie stolperte und stürzte ungebremst und schmerzhaft, aber dadurch musste er sie loslassen. Sobald seine Hand nicht mehr auf ihrem Mund lag, begann sie zu schreien und über den Boden davonzukrabbeln.
Er packte sie an den Haaren, woraufhin sie noch lauter aufschrie. »Still!«, zischte er, zog sie am Schopf hoch und presste die Hand wieder auf ihren Mund.
Sie rammte den Ellbogen, so fest sie konnte, nach hinten und hörte zufrieden, wie er leidend aufstöhnte.
Es war das Letzte, was Britt hörte, bevor ihr schwarz vor Augen wurde.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf der Seite.
Alles tat ihr weh, und ihr Schädel pochte. Zusätzlich hatte offenbar jede einzelne Haarwurzel ihr eigenes nadelstichgroßes Schmerzzentrum entwickelt. Ihre Füße waren zusammengebunden, die Hände hatte man ihr fest auf dem Rücken gefesselt. Sie war mit einem Tuch, vielleicht einem Halstuch, geknebelt, das zusammengedreht und wie eine Pferdetrense durch ihren Mund gezogen worden war. Sie konnte mit der Zunge dagegen drücken, aber den Kiefer konnte sie nicht bewegen.
Außerdem hatte man ihr etwas wie eine Henkerskapuze über den Kopf gezogen. Oder die Kapuze eines Todeskandidaten. Bei dem Gedanken stockte ihr der Atem.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie auf dem Rücksitz eines Autos lag, das allerdings nicht fuhr. War sie zu sich gekommen, weil es angehalten hatte?
Offenbar, denn Sekunden später ging neben ihrem Kopf eine Autotür auf. Durch die Stoffkapuze spürte sie einen schwachen Zug und holte erleichtert durch die Nase Luft. Unter der Kapuze war sie nicht nur blind, sie bekam auch noch Platzangst.
Sie versuchte, sich bewusstlos zu stellen, und blieb reglos und schlaff liegen. Außerdem hatte es keinen Zweck, sich zu wehren. Schließlich konnte sie weder Arme noch Beine bewegen.
Hände packten sie unter den Armen, zerrten sie aus dem Wagen und legten sie auf dem Boden ab. Unter den nackten Beinen spürte sie Schmutz, Steinchen, spröde, stachlige Stängel. Sie hörte Schritte, Schlüssel klirren, das Öffnen einer weiteren Autotür.
Gleich darauf war er wieder bei ihr, schob die Arme unter ihre Schultern und Knie und hob sie hoch. Sie wurde ein paar Schritte getragen. Dieser Wagen war höher
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