Süßer Tod
und größer als der erste; sie erkannte das daran, wie schwer es ihm fiel, sie auf den Beifahrersitz zu hieven. Sie ließ sich absichtlich nach links wegsacken. Die Tür wurde zugeschlagen.
»Spielen Sie mir nichts vor«, sagte er. »Ich weiß, dass Sie bei Bewusstsein sind.«
Trotzdem blieb sie reglos liegen, spitzte die Ohren und versuchte, das zu tun, was man Frauen stets riet, wenn sie in ihrer Situation waren.
Steigen Sie nicht zu dem Entführer ins Auto. Zu dumm. Sie lag bereits drin.
Versuchen Sie, ihm die Schlüssel abzunehmen und sie als Waffe einzusetzen. Unmöglich.
Versuchen Sie, sich möglichst viel einzuprägen. Mit ihren gefesselten Händen konnte sie gerade mal die Polster des Sitzes abtasten. Leder. Dafür sprach auch der Geruch. Sehen konnte sie nichts. Sie konnte höchstens den Knebel schmecken, und der Geschmack verriet ihr nur, dass er gewaschen worden war. Der Stoff roch leicht nach Waschmittel.
Immerhin konnte sie hören, also konzentrierte sie sich darauf, alle Geräusche zu katalogisieren.
Eine weitere Autotür wurde zugeschlagen. Wieder Schritte. Die Fahrertür zu ihrer Linken wurde aufgezogen, dann stieg er ein und stellte etwas im Fußraum vor ihrem Sitz ab. Er zog die Fahrertür zu.
Plötzlich lastete sein Gewicht auf ihr, und sie dachte: Das war’s .
Aber er beugte sich nur über sie, um den Sicherheitsgurt heranzuziehen. Er schob die andere Hand unter ihren Oberkörper und tastete nach dem Schnallenschloss. »Wenn Sie sich aufsetzen würden, ginge es leichter.«
Sie rührte sich nicht und gab auch sonst nicht zu erkennen,
dass sie ihn gehört hatte, denn im Moment konnte sie sich nur schützen, indem sie möglichst passiv blieb, auch wenn sie dafür in Kauf nehmen musste, dass er an ihr herumfummelte.
»Wie Sie wollen.« Seine Hand wühlte sich tiefer. Schließlich hatte er irgendwo unter ihrer linken Brust das Schloss ertastet, steckte den Gurt hinein und ließ von ihr ab. Sie hörte, wie er sich ebenfalls anschnallte und dann den Motor anließ.
»Wir werden länger fahren.«
Die Straße war uneben. Das Fahrzeug holperte über Schlaglöcher und Bodenwellen. Hätte sie nicht der Gurt gehalten, wäre sie mehrmals vom Sitz gefallen. Wenn er vorgehabt hätte, sie umzubringen, zumindest in nächster Zeit, hätte er sie bestimmt nicht erst angeschnallt. Oder?
Wer war er? Warum sie? Lösegeld?
Sie war prominent, wenigstens zu einem gewissen Grad. Hatte sie es mit einem Irren zu tun, der berühmt werden wollte, indem er erst sie und anschließend in einem dramatischen Finale sich selbst umbrachte? Oder war die Wahl rein zufällig auf sie gefallen?
In ihrem Kopf blitzten Horrorstorys auf, über die sie zum Teil selbst berichtet hatte. Manche Psychopathen behandelten ihre Geiseln ganz freundlich, sogar liebevoll, nur um sie hinterher brutal niederzumetzeln.
Auf jeden Fall würde sie nicht kampflos untergehen.
Aber wie sollte sie gegen ihn ankämpfen? Dummerweise wusste sie nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen war, bevor er angehalten hatte, um die Fahrzeuge zu wechseln. Davor konnten Stunden oder Minuten vergangen sein. Sie hatte keine Hinweise darauf entdecken können, wo dieser Wechsel stattgefunden hatte, sie wusste nur, dass sie seither über eine ungeteerte Straße fuhren.
Sie hatte auch nichts gehört, was Rückschlüsse darauf erlaubt hätte, wo sie sich befanden. Weder das Zischen von Autos, die über einen nahen Freeway sausten, noch leises Wellenklatschen oder startende und landende Flugzeuge oder andere aufschlussreiche Geräusche.
Dafür konnte sie jetzt, da sie bei Bewusstsein war, die Zeit abschätzen, um ungefähr zu bestimmen, wie lange sie fuhren. Sie begann, die Minuten abzuzählen.
Noch bevor sie bei der fünfzehnten Minute angekommen war, bog der Wagen aus der ungeteerten Straße auf glatten Asphalt.
Es war schwer, nicht aus dem Zählen zu kommen. Er hatte einen Countrysender eingestellt, der keine Werbung einblendete. Trotzdem konzentrierte sie sich mit aller Kraft auf das Zählen und bemühte sich, den Beat der verschiedenen Lieder zu ignorieren.
Die ersten fünfzehn Minuten verstrichen. Dann noch einmal fünfzehn Minuten.
Danach kam sie aus dem Rhythmus. Durch die Anstrengung, sich nicht zu bewegen, hatten sich ihre Muskeln verkrampft. Die Schnalle des Sicherheitsgurts drückte auf ihren Kehlkopf. Ihr Kopf pochte. Ihre Hände und Füße kribbelten, weil sich das Blut darin staute.
Als sie es beinahe nicht mehr aushielt und schon mit dem
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