Süßer Tod
sich nicht dafür, aber er sagte: »Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass Jay etwas in Ihren Wein geschüttet hat. Ein so mieser Trick wäre unter seiner
Würde gewesen. Er war schrecklich stolz darauf, dass er praktisch jede Frau ins Bett bekommen konnte.« Er ließ das nachwirken und fragte dann: »Aber wer war es dann, wenn es nicht Jay war?«
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht wollte mir jemand nur einen hässlichen Streich spielen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass es im Wheelhouse passiert ist. Denn mir war schon komisch, als wir von dort weggingen. Bis wir bei Jay zu Hause ankamen, ging es mir richtig schlecht.«
»Haben Sie Jay gesagt, dass Sie sich nicht wohlfühlen?«
»Ich glaube nicht. Ich wollte unbedingt erfahren, was er mir zu erzählen hatte. Ich wollte nicht, dass er den Abend abbricht und die Geschichte auf ein andermal verschiebt.«
»Klar. Schließlich lassen Sie sich um keinen Preis eine gute Story entgehen.«
Sie feuerte zurück: »Da haben Sie verdammt recht.«
Raley hätte anmerken können, dass er aus eigener Erfahrung wusste, wie weit sie ging, um eine Story zu bekommen, aber das sparte er sich. »Jay lockte Sie mit…«
»Er lockte mich überhaupt nicht. Er sagte, dass er mit mir reden müsse. Als er mir von seiner Krebsdiagnose erzählte, dachte ich, es wäre ihm darum gegangen.« Sie verstummte kurz, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme verändert. »Wussten Sie, dass er todkrank war?«
Etwas in ihm zog sich zusammen, aber das ließ er sich tunlichst nicht anmerken. »Ich weiß es erst, seit ich gehört habe, dass er neben Ihnen im Bett gestorben ist.«
»Sie sind nicht mit ihm in Verbindung geblieben, nachdem Sie Charleston verlassen hatten?«
»Nein.«
»Ich verstehe.«
»Tun Sie nicht.«
»Er war Ihr bester Freund.«
»War.«
»Sie haben ihn fünf Jahre lang weder gesehen noch gesprochen?«
»Genau.«
»Was war der Grund für die Funkstille? Ihr Weggang? Oder das Vorspiel?«
Er war noch nicht bereit, darüber zu sprechen. Erst wenn er mit Sicherheit wusste, wie Jay gestorben war, konnte er darüber reden, wie er gelebt hatte. »Jay hat Ihnen also erzählt, dass er bald sterben würde.« Sie nickte. »Glauben Sie, er hat das erzählt, weil er auf einen Mitleidsfick gehofft hat?«
Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick. »Eine absolut pubertäre Frage. Was für eine männliche Logik. Das dachte ich mir schon, als mich die beiden Detectives das Gleiche gefragt haben.«
»Was haben Sie ihnen geantwortet?«
»Ich sagte Nein. Jay hatte es ebenso wenig nötig, auf das Mitleid einer Frau zu hoffen, wie er sie unter Drogen setzen musste.«
»Das nenne ich weibliche Logik.«
»Stimmt aber.«
»Da spricht die Erfahrung aus Ihnen.«
Sie verkniff sich die Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag, und starrte ihn wutentbrannt, aber schweigend an.
»Er hat Sie also nicht ins Wheelhouse bestellt, um Ihnen zu eröffnen, dass er nur noch ein paar Wochen zu leben hat.«
»Nein.« Sie erzählte ihm, dass sich Jay gegen ihr Mitleid verwahrt hatte. »Er sagte, er habe keine Zeit, über Tumore und Beerdigungen zu plaudern. Er sagte, er habe mir etwas viel Wichtigeres zu erzählen und dass mich die Story, die er mir verschaffen würde, direkt auf den Reporterolymp schießen würde.«
Gespannt und mit klopfendem Herzen wartete Raley ab. Nachdem mehrere Sekunden verstrichen waren, fragte er: »Und was war das für eine Superstory?«
»Keine Ahnung.«
»Was für ein Müll!« Er schoss so abrupt aus seinem Stuhl, dass sie erschrocken zusammenzuckte. »Ich bin kein Reporter
von der Konkurrenz. Ich werde bestimmt nicht bei irgendeinem Sender anrufen und Ihnen zuvorkommen. Sie können Ihre kostbare Story behalten, ich will nur wissen, was Jay Ihnen erzählt hat.«
Sie sprang ebenfalls auf und baute sich vor ihm auf. »Nichts! Er wurde …«
»Was?«
»Nervös. Zappelig.«
Er lachte bellend. »Jay?«
»Jay.«
»Der mit Nerven aus Stahl gesegnete, der immer beherrschte, nie in Verlegenheit zu bringende Jay? Der Jay Burgess?«
»Ja. Ich weiß, das hört sich gar nicht nach ihm an …«
»Nein. Es hört sich lächerlich an.«
»Ich sage Ihnen doch, er wurde fahrig und begann zu schwitzen.«
Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und zerrte es sekundenlang von seinem erhitzten Gesicht weg, bevor er es wieder fallen ließ. Danach stemmte er die Hände in die Hüften und fasste sie ins Auge. »Sie sind ein hartes Stück Arbeit, wie? Sobald Sie eine Gelegenheit wittern,
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