Süßer Tod
Ihre Zeit damit zu, Ihre Wunden zu lecken und sich zu bemitleiden. Sie werden niemals Gerechtigkeit finden, weil Sie gar nicht den Mumm haben, darum zu kämpfen. Es ist viel einfacher, sich in seinem Bau zu verkriechen, als sich zu stellen und um sein verdientes Recht zu kämpfen.«
Inzwischen schnaufte sie schwer vor selbstgerechter Entrüstung. »Ich glaube, ich habe Sie genau getroffen. Sie behaupten, Sie wollten sich an jedem rächen, der Sie ins unverdiente Elend gestürzt hat. Nun, jetzt haben Sie die Chance dazu.«
Er senkte die Brauen und sah sie nachdenklich an. »Wissen Sie was? Sie haben recht.« Im nächsten Moment hatte er die Hände auf ihre Schultern gelegt, sie gegen die Seitenwand des Pick-ups gedrückt und sich dicht vor ihr aufgebaut. »Ihr schnelles
Mundwerk hat dazu beigetragen, mich ins unverdiente Elend zu stürzen. « Sein Blick kam auf ihrem Mund zu liegen, der sich überrascht geöffnet hatten, als er sie gepackt hatte. Jetzt presste Britt die Lippen zusammen. Er lächelte und zeigte dabei die Zähne, aber es war kein angenehmer Anblick.
»Glauben Sie mir, Britt Shelley, Starreporterin bei den Channel Seven News, in den vergangenen vierundzwanzig Stunden habe ich mir oft genug ausgemalt, diesen Mund all das wiedergutmachen zu lassen, was er mir vor fünf Jahren angetan hat. Rache? Aber ja. Ich habe mir ein Dutzend Möglichkeiten ausgedacht, Sie zum Schweigen zu bringen, und keine davon war jugendfrei.«
Er beugte sich vor, bis sie zwischen ihm und dem Wagen eingeklemmt und sein Mund nur noch Haaresbreite von ihrem entfernt war. »Aber ich würde Sie nicht anrühren. Niemals. Nicht weil ich zu feige dazu bin und auch nicht weil es mir keinen Spaß machen würde, sondern weil ich Sie nicht leiden kann. Vor allem aber …« Er holte kurz Luft und sah sie mit seinen grünen Augen an. »Vor allem aber, weil Jay Sie vor mir gehabt hat.«
E r ließ sie genauso plötzlich los, wie er sie gepackt hatte, drehte sich um und stieg in den Pick-up. Er ließ den Motor an, wendete mit quietschenden Reifen und raste in Richtung Straße los, sodass Britt gezwungen war, in letzter Sekunde zur Seite zu springen. Hustend stand sie in der Staubwolke, die er zurückließ.
Unter ihren Zornestränen verschwammen die Rücklichter zu roten Flecken. Als sie verschwunden waren, blieb sie in völliger Dunkelheit zurück. Schnell hob sie ihre Handtasche auf und stieg in ihren Wagen. Der Fahrersitz war bis zum Anschlag zurückgeschoben, um Raley Gannons langen Beinen Platz zu bieten, und alle Spiegel waren verstellt. Dass sie alles erst wieder einstellen musste, machte sie noch wütender, und sie kochte sowieso schon vor Wut.
Der Straßenzustand trug nicht dazu bei, ihre Laune zu bessern. Hier war nur eine Geschwindigkeit erlaubt – langsam. Sie bekam Raleys Rücklichter nicht wieder zu sehen, obwohl sie bis zur Hauptstraße in seiner Staubwolke fahren durfte. Die Hauptstraße war zwar nicht viel breiter, aber wenigstens irgendwann geteert worden. Vielleicht während des Zweiten Weltkrieges.
Sie las die Wegbeschreibung, die er für sie verfasst hatte – wahrscheinlich sollte sie ihm dankbar dafür sein –, und bog wie angegeben ab. Sie fuhr nicht besonders schnell, zum einen, weil die Straße in vielen Windungen durch einen dichten, dunklen Wald führte, zum anderen aber, weil sie Zeit brauchte; sie musste alles überdenken, was Raley ihr erzählt hatte, und sich auf das vorbereiten, was vor ihr lag. Bevor es besser wurde,
würde es erst einmal schlimmer, und diese Zwischenphase machte ihr Angst.
Seit ihre Eltern im Abstand von nicht einmal einem Jahr gestorben waren – ihr Vater an Lungenkrebs, als sie im letzten Highschool-Jahr war, ihre Mutter ein paar Monate darauf an einem Schlaganfall –, war sie auf sich allein gestellt.
Als Anfängerin am College hatte sie nicht den Luxus genossen, ihre Mutter betrauern zu können. Weil sie kein Semester verpassen wollte, hatte sie sich nur eine Woche vom Unterricht beurlauben lassen, um die Beerdigung zu organisieren und den ganzen Papierkrieg durchzufechten, den ein unerwarteter Todesfall nach sich zieht. Danach hatte sie emotional den Staub abgeklopft, sich wieder in ihr Studium vertieft und sich damit abgefunden, dass sie jetzt eine Waise war und es von nun an allein an ihr lag, was sie aus ihrem Leben machte.
Sie bekam die bescheidene Lebensversicherung ihrer Eltern ausbezahlt und finanzierte damit ihre Ausbildung. Nach dem Abschluss verkaufte sie das
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