Süßer Tod
jeder andere auch.«
»Ich weiß, aber ich kann das erklären. Ich …« »Wie gesagt, sparen Sie sich Ihre Erklärung für später auf. Je eher Sie kommen, desto besser. Wo sind Sie jetzt?«
»Das weiß ich nicht genau.«
»Nicht genau?«
»Ich brauche noch mindestens eine Stunde bis Charleston. Ich komme, so schnell ich kann.«
»Falls Sie nicht vorher gefasst werden. Die 95 und 26 werden streng überwacht und …«
»Ich bin nicht auf der Interstate. Ich bin irgendwo im Nirgendwo, und die Straßen sind hier eher mäßig. Wissen Sie, wo Ye … Ye …«
»Yemassee?«
»Genau, hier steht, dass ich dort durchkommen werde.«
»Wo steht das?«
»Das ist eine lange Geschichte. Von dort aus nehme ich die… äh … River Road zum Highway 17.«
»Okay, okay, kommen Sie einfach, so schnell Sie können. Ich
fahre zu Ihnen nach Hause und warte dort auf Sie. Wenn Sie ankommen, sprechen Sie mit niemandem ein Wort, das nicht mit mir abgesprochen ist. Haben Sie verstanden, Ms Shelley? Nicht ein einziges Wort!«
»Ich verstehe, aber ich habe viel zu erzählen. Vor allem, dass der Mord an Jay mit dem Brand zu tun hat.«
»Dem Brand?«
»Dem Brand in der Polizeizentrale vor fünf Jahren.«
»Er war einer der Helden. Das weiß jeder.«
»Ja, aber das ist längst nicht alles. Jay war …«
Der Anruf wurde abrupt abgeschnitten.
Johnson sah Smith an, der mit den Achseln zuckte. »Klingt, als wäre ihr Handy abgestürzt.«
Sie hörten Alexander zweimal ihre Nummer wählen, aber beide Male wurde der Anruf sofort auf die Mailbox geleitet. Mit einem gemurmelten »Verflucht« legte er auf.
Smith zog sein Handy heraus und wählte eine Nummer, die nur er und Johnson kannten. Sobald das Gespräch angenommen wurde, sagte Smith: »Ihr Anwalt hat sie eben angerufen. Wir haben alles aufgezeichnet.«
Ohne weiteren Kommentar begann Johnson, die Aufnahme abzuspielen.
Am anderen Ende blieb es erst still, dann sagte die Stimme: »Sie kann sich erinnern, dass Jay ihr etwas über den Brand erzählt hat. Ihre Erinnerung wurde nicht völlig ausradiert.«
Smith erklärte abwehrend: »Manchmal stellt sich die Erinnerung teilweise wieder ein. Jeder Mensch reagiert anders auf das Mittel.«
»Rückblickend betrachtet wäre es besser gewesen, sie auch umzubringen. Es hätte aussehen können wie ein Mord-Selbstmord-Szenario. Aber dafür ist es jetzt zu spät, nicht wahr? Trotzdem …«
Man konnte fast hören, wie sich das geistige Räderwerk am anderen Ende der Leitung in Bewegung setzte.
»Sie ist weggelaufen, das ist unser Vorteil. Jetzt wirkt sie wie eine Kriminelle, der man durchaus zutrauen würde, dass sie ihren Ex umgebracht hat. Obendrein verzweifelt und bereit, jede Story zu erzählen, nur um ihre Haut zu retten. Falls sie anfängt, Jay Burgess und seine Heldentaten in Zweifel zu ziehen, wird kein Mensch ihr glauben. Noch besser wäre es allerdings …«
Johnson und Smith sahen es schon kommen. Besser wäre es, wenn Britt Shelley keine Gelegenheit mehr bekam, überhaupt etwas zu sagen, wodurch den übrigen Beteiligten weitere Sorgen und Umstände erspart bleiben würden.
Froh, etwas Stimulierenderes unternehmen zu können, ließen sie die Partie Gin-Rommé unvollendet.
Raley merkte, dass sein Tank fast leer war. Natürlich war es ärgerlich, dass er zwischendurch tanken musste, aber noch ärgerlicher wäre es, wenn er auf dem Weg zu seiner Hütte liegen bleiben würde.
Er bog in die erste Tankstelle auf dem Weg, stieg aus und ging zur Kasse, um die Zapfsäule freischalten zu lassen. Der gewünschte Betrag musste dem Kassierer vorab bar durch das vergitterte Fenster bezahlt werden. Raley sah mehrere Schilder, dass die Tankstelle mit Kameras überwacht wurde, aber das bezweifelte er. Dafür bezweifelte er nicht, dass unter der Theke eine Schrotflinte bereitlag, außer Sichtweite, aber immer in Reichweite.
Er kehrte zu seinem Wagen zurück und steckte die Zapfpistole in den Tank. Dabei fiel ihm auf, dass Britts Windjacke noch auf der Ladefläche lag, wo Britt sie wütend hingeworfen hatte. Bei dem Anblick spürte er einen unerwünschten Stich. Zugegeben, solange sie zusammen gewesen waren, hatte er sich wie ein Bastard aufgeführt, aber das hatte sie nicht anders verdient.
Sobald sie nach Charleston zurückkehrte, stände sie im Rampenlicht, und dort stand sie doch am allerliebsten, oder etwa nicht? Vielleicht nicht sofort, aber doch bald hätte man sie von jedem Verdacht, Jay umgebracht zu haben, freigesprochen.
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