Süßer Tod
anlassen, so wie es dieser Fahrer tat. Raley würde nicht so gefährlich dicht auf ein anderes Auto auffahren, nicht einmal, um Aufmerksamkeit zu erregen und ihr seine Gegenwart anzuzeigen.
»Idiot«, zischte sie und gab Gas. Der andere Fahrer tat es ihr nach und blieb während der nächsten halben Meile an ihrer Stoßstange. Wieso überholte er nicht einfach, wenn es ihn störte, dass sie sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielt? Hier gab es keinen durchgezogenen Mittelstreifen, der das Überholen untersagt hätte, und selbst wenn, so hätte jemand, der keine Angst vor einem Auffahrunfall hatte, bestimmt keine Skrupel, gegen ein Überholverbot zu verstoßen. Ihnen kam kein Wagen entgegen, der ihn vom Überholen abgehalten hätte.
Sie schirmte mit einer Hand das Gleißen im Rückspiegel und in den Seitenspiegeln ab und konnte zwei Silhouetten im anderen Wagen erkennen. Sie sahen nach zwei Männern aus, aber sicher konnte sie das nicht feststellen, und inzwischen fuhr sie so schnell, dass sie das Lenkrad lieber mit beiden Händen festhielt.
Wahrscheinlich waren es Teenager, die ihr einen Streich spielen wollten und in ihrer Unerfahrenheit gar nicht merkten, dass sie ein lebensgefährliches Spiel trieben. Sie sollte eine Reportage darüber schreiben und die Frage aufwerfen, ob das Führerscheinalter auf achtzehn angehoben werden sollte.
Nach einer weiteren Meile geriet sie in Rage. Ihre Hände hielten das Lenkrad so fest umklammert, dass sie daran festgeschmiedet schienen. Ihre Schultern schmerzten vor Anspannung.
»Ihr habt gewonnen.« Sie lenkte den Wagen näher an den Seitenstreifen, der hier nur wenige Zentimeter breit war. Aber der Fahrer nutzte den zusätzlichen Platz nicht, um endlich zu überholen. Stattdessen schwenkte er nach links, bis das rechte Ende
seiner Stoßstange auf einer Höhe mit ihrer war. Sie lenkte noch weiter zur Seite, bis ihre Reifen in den weichen Schlamm rutschten. Der andere Fahrer zog nach, sodass ihre Stoßstangen auf gleicher Höhe blieben. »Was soll das, du Volltrottel?«
Ihr Ärger wandelte sich allmählich in Panik. Das war zu finster für ein paar Teenager, die ihr nur einen Streich spielen wollten. Sollte sie beschleunigen, abbremsen, anhalten? Alle drei Optionen bargen ein Risiko, vor allem die letzte. Sie war praktisch halb nackt. Ihr Handy war tot. Sie hatte keine Waffe dabei. Sie hatte seit einer halben Stunde kein anderes Auto mehr gesehen. Gelegentlich hatte sie in den Wäldern ein Licht in einem Haus leuchten sehen, aber auf den letzten Meilen nicht mehr.
Nein, anzuhalten kam nicht infrage. Abgebremst hatte sie schon, aber das hatte den anderen Fahrer nicht abgelenkt. Damit blieb ihr nur noch eins übrig, nämlich wieder zu beschleunigen und zu hoffen, dass sie nicht von der Straße abkam, bevor sie den dicht befahrenen Highway 17 erreichte, oder dass die beiden dieses Spieles überdrüssig wurden und sie in Ruhe weiterfahren ließen.
Trotzdem wusste sie instinktiv, was passieren würde. Das hier war eine Drohung, kein Spiel. Die beiden im anderen Wagen wollten ihr wehtun.
Der Fahrer schien die unheimliche Gabe zu besitzen, mit seinen Scheinwerfern in ihren Rückspiegel zu leuchten. Das Licht blendete sie. Also ging sie zum Angriff über, trat das Gaspedal durch und lenkte gleichzeitig scharf nach links. Sie verpasste seine vordere Stoßstange um Haaresbreite. Sobald die Reifen wieder auf Asphalt griffen, machte ihr Wagen einen Satz vorwärts.
Aber ihr Triumph war nur von kurzer Dauer. Das andere Fahrzeug röhrte hinter ihr auf, lenkte ebenfalls scharf nach links und rückte mit der Stoßstange wieder neben ihre. »Verdammt noch mal!«, rief sie ängstlich. »Was macht ihr da? Was soll denn das?«
Wieder blendeten sie die Scheinwerfer, aber weiter vorne konnte sie das Hinweisschild auf den Fluss erkennen. Gleich
hinter dem Schild endete der Seitenstreifen, und die Straße verengte sich zur Brücke hin.
Britts Herz begann zu rasen. Sie dachte an den Fluss mit dem sumpfigen Wasser, den sie und Raley auf dem Weg von der Hütte zum Flugfeld mehrmals überquert hatten. Sie wusste zwar nicht viel über die Gegend, aber sie wusste immerhin, dass hier mehrere große Flüsse zusammenströmten, die dann in den St.-Helena-Sund und von dort aus in den Atlantik flossen, wobei die Fließrichtung mit den Gezeiten viermal täglich wechselte.
Eine Menge Wasser. Viele Menschen waren schon darin umgekommen. Erst neulich hatte sie über die Bergung eines Ertrunkenen berichtet.
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