Süßer Zauber der Sinnlichkeit
gewachsen gezeigt hast."
Von frühester Kindheit an hatte ihn der feuerrote Haarschopf und die vor Witz sprühende Stimme des Pflegevaters an eine Feuersbrunst erinnert. Auch das vergleichbare Temperament hatte Lord Baldwin besessen – eines, welches das Leben aller in seiner näheren Umgebung mit Wärme und Fröhlichkeit erfüllte, an dem sich allerdings auch so mancher, der ihm zu nahe kam, versengte oder verbrannte. Mit den Jahren hatte Armand beides kennen gelernt: die Herzlichkeit seiner Lebenslust, aber auch die brennende Glut des Zorns.
Inmitten tobenden Schlachtengetümmels, mit einem einzigen, unbesonnenen Streich seines Schwertes, hatte Armand Flambard jene strahlende Flamme ausgelöscht und seine Seele in eine Finsternis gestürzt, aus der es kein Entrinnen gab.
Oder doch?
Vielleicht bot ihm Dominie, ohne es recht zu bemerken, die Aussicht, sich jene Absolution zu verdienen, nach der er seit der Schlacht von Lincoln vergebens strebte. Eine Gelegenheit zur Erlösung von aller Schuld? Gleich ahnungsvollem Geflüster strich eine kühle Brise ihm säuselnd über die bloßen Beine, so dass sich die feinen Härchen sträubten. Ein Frösteln überlief ihn. Gewiss, eine Lossprechung wäre möglich! Vorausgesetzt, er und Dominie würden nicht bis zum Tagesanbruch erfrieren!
Als sie den Rand von Thetford Forest erreichten, reckten sich ihnen die länger werdenden Schatten der Bäume entgegen. Die kommende Nacht versprach kalt zu werden, nachdem es in der gestrigen sogar gefroren hatte. Da hatte Dominie die nächtliche Kälte noch ausgehalten, sich beim anschließenden Tagesmarsch aber wieder aufwärmen können und außerdem für eine Übernachtung unter freiem Himmel die passende Kleidung getragen. Aber heute nach den zwei unfreiwilligen Bädern im eisigen Fluss, die sie bis auf die Knochen ausgekühlt hatten, musste sie ihre Sachen, welche ohnehin kaum für einen reichten, auch noch mit Armand teilen.
Wie bittere Galle stieg ihr der Groll auf Armand in der Kehle empor, doch sie schluckte den Zorn hinunter. Sie musste nüchtern denken. Ihn mit Verwünschungen zu überschütten, hätte zwar ihrem aufgestauten Unmut ein wenig Luft verschafft, doch warm gehalten bis Tagesanbruch hätte es sie beide nicht!
Während sie ihren Blick zu den Baumwipfeln gerichtet hielt, versuchte sie sich zu orientieren. "Ich hoffe, ich finde die Kuhle, die ich mir letzte Nacht gebaut habe. Wollen wir beten, dass das Wild sie nicht in der Zwischenzeit wieder zerstört hat!"
"Kuhle?" Armand wirkte etwas außer Atem nach dem Marsch.
Dominie konnte es ihm nachfühlen. Ihre Arme schmerzten ihr vom Tragen, denn immerhin hatte sie die Hälfte seiner durchnässten Kleidung schleppen müssen. Doch kaum hatte sie ein Paar turmhoch aufragender Eichen erspäht, vergaß sie all ihre Beschwerden.
"Dort drüben!" Sie nickte in Richtung der Baumriesen und bahnte sich ihren Weg durch das Unterholz. "Ich habe etwas Erde ausgehoben, um den Hohlraum am Fuße einer der Eichen dort zu vertiefen. Die Höhle habe ich dann mit Moos und Laub zu einem Schlafplätzchen ausgepolstert!"
"Kein Wunder, dass du nach Waldboden riechst!" brummte Armand, offenbar mehr zu sich selbst als für ihre Ohren.
"Nach was soll ich riechen?" Über die Schulter hinweg warf sie ihm einen bösen Blick zu.
"Deine … äh, Kleider", stammelte er. "Die duften wie … wie der Wald! Nach Erde, nach Rinde und Kiefernharz!"
"Wenn es dir nicht passt, kann ich mein Wams ja wieder selber anlegen!" fauchte sie, bereits voll böser Vorahnung auf den Streit, der unweigerlich kommen musste, sobald sie Armand eröffnete, dass er in der kommenden Nacht das Erdloch mit ihr teilen würde.
"Habe ich etwa behauptet, es gefalle mir nicht?"
Seine Antwort brachte sie zwar noch mehr in Rage, aber sie tat so, als beachte sie seinen Einwand gar nicht. "Ich habe den Eindruck, dass dieser Stock mit jedem Schritt schwerer wird. Wir sollten uns besser einen dicken Ast suchen, über den wir deine Kleider hängen können!"
"Das soll mir recht sein!" Armand hörte sich beinahe fröhlich an, als er sein Ende des Stabes fallen ließ.
Sein plötzliches Loslassen sowie sein Tonfall trafen Dominie völlig unvorbereitet. Unter dem ganzen Gewicht seiner nassen Gewänder geriet sie ins Straucheln und stolperte rückwärts. Rasch lief Armand auf sie zu und fing sie mit den Armen auf.
"Verzeih mir!" rief er. "Es tut mir Leid!"
Leid? fragte sich Dominie. Wofür? Dass er sie beinahe zu Fall gebracht hätte?
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