Süßer Zauber der Sinnlichkeit
mögen – mit demselben Hass wie einst, als er ihre Verlobung gebrochen und sie ohne ein Wort verlassen hatte.
Nun hatte er es ihr schwerer gemacht denn je, ihn zu verabscheuen, und noch viel schwerer, seine hohen Ideale zu bespötteln – selbst das Gelübde der Gewaltlosigkeit, welches Dominies Schützlingen eventuell teuer zu stehen kommen würde. Aber jetzt klebte an ihren eigenen Händen Blut und allmählich begriff sie Armand. Es war ja nicht ihre Absicht gewesen, den Wegelagerer umzubringen, sondern sie hatte ihn sich bloß vom Leibe halten wollen. Obwohl sie von seinem schrecklichen Ende bis ins Mark aufgewühlt war, war sein Tod kein großer Verlust für die Welt.
Was wäre gewesen, falls sie wie Armand ihr Schwert in der Schlacht erhoben hätte, mit der vollen Absicht, den Feind zu vernichten? Wenn sie im Verlaufe nur eines einzigen blutigen Tages zahlreiche Männer erschlagen hätte, deren einziges Vergehen darin bestand, dass sie unterschiedlichen Herren die Treue geschworen hatten? Männer, die möglicherweise einst ihre Nachbarn gewesen waren, vielleicht sogar Freunde?
Ins Kloster zu gehen und der Gewalt zu entsagen – dies war ein maßvollerer Schritt als viele andere, die man sich vorstellen konnte, insbesondere für einen Mann von Ehre und aberwitzig hohen Prinzipien.
In Gedanken versunken, bemerkte Dominie nicht, wie Armand sich ihr näherte, bis er die Hand ausstreckte und ihren Arm berührte. "Ich bin froh, dass du geweint hast."
Sie zuckte zurück. "Was?"
Armand fasste ihre Hand und verlangsamte seinen Schritt. "Ich bin froh darüber, dass du dich ausgeweint hast. Nie hätte ich es mir verziehen, wenn die Bürde, welche du in den vergangenen Jahren zu tragen hattest, dich derart gefühllos gemacht hätte, dass du ohne jede Regung Blut vergießt."
"Wieso hättest du dir das zum Vorwurf machen sollen?"
"Weil jene Last eigentlich auf meine Schultern hätte fallen müssen. Ich aber war nicht zur Stelle."
Dominie kam ein ganz neuer Gedanke in den Sinn. "Hättest du dich für König Stephen erklärt, wozu mein Vater dich seinerzeit zu bewegen versuchte, so wärest vielleicht auch du bei Lincoln umgekommen. Dann wären all jene Pflichten dennoch mir zugefallen. Und du wärest heute nicht hier."
Armand lächelte schmerzerfüllt. "Dann wäre dir also ein lebendiger Verräter lieber als ein toter Held? Dein Pragmatismus verblüfft mich."
Heftig entzog sie ihm ihre Hand und versuchte, schneller zu gehen. Schon seit dem Morgen, ja früher sogar, nämlich seit sie Armand im Kloster wiedergesehen hatte, kam sie sich allmählich selber fremd vor. All ihre Gefühle waren zu wund, zu dicht vor dem Ausbruch und nahe davor, die brüchige Kruste ihrer Beherrschung ganz ohne Vorwarnung zu durchbrechen.
"Ich dachte, du würdest es gerne hören …", sie schleuderte ihm die Worte förmlich ins Gesicht, "… dass sich der Groll, welchen ich so viele Jahre gegen dich hegte, inzwischen ein wenig gemildert hat."
"Das verblüfft mich!" Armand beeilte sich, zu ihr aufzuschließen. Er fasste ihre Schulter und drehte Dominie zu sich herum, so dass sie ihm gegenüberstand. "Durchaus, Dominie! Ich bewundere dich dafür, dass du dazu in der Lage bist!"
"Was denn nun – Bewunderung oder Verblüffung?" Aufgebracht drückte sie ihm seinen Wanderstock in die Hand.
"Beides, wenn du es unbedingt wissen willst!" Forschend glitt sein Blick über ihr Antlitz, als suche er nach Ähnlichkeiten mit der Person, die er einstmals gekannt hatte. "Du hast dich seit unserer Trennung sehr verändert! Oder ich habe dich vielleicht nie so gut gekannt, wie ich einmal glaubte?" In einer kameradschaftlichen Geste legte er ihr seine große Hand auf die Schulter. "Obgleich ich allmählich zu der Erkenntnis gelange, die Herausforderung, eine neue Dominie kennen zu lernen, könnte mir behagen. Ganz gegen meinen Willen."
Seine einfache Geste entspannte sie. "Du brauchst ja nicht zu bleiben!" Die Worte brachen abrupt aus ihr heraus, halb widerwillig, halb beflissen.
Konsterniert hob Armand die Augenbrauen. "Bleiben?"
"Auf Wakeland! Nach unserer Ankunft!" Sie sprach schnell weiter, ehe der warme Druck seiner Hand sie bewegen konnte, ihr Angebot zurückzunehmen. "Und auf Harwood auch nicht. Du sagtest ja selbst, die Verteidigung sei nicht mehr deine Aufgabe. Ich hätte dich nicht nötigen sollen, mich gegen deinen Willen zu begleiten."
"Sag die Wahrheit!" Unter dem unmerklichen Anflug eines Lächelns hob sich Armands Mundwinkel eine
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