Süßer Zauber der Sinnlichkeit
vom Verstand her von Anfang an hätte in Zweifel ziehen müssen.
"Dominie!" Hinter ihr hallte laut Gavins Stimme.
Sie fuhr herum, und ehe sie noch Zeit finden konnte, ihre Zunge im Zaum zu halten, giftete sie ihren Bruder an. "Was willst du denn nun schon wieder?"
Der Junge kam geradewegs auf sie zugerannt und bremste mitten im Lauf ab. "Nur wissen, ob ich im Mühlenteich mit den anderen schwimmen darf. Wir sind mit dem Heuwenden fertig, und es war heiß bei der Arbeit!" Bevor sie antworten konnte, fügte er noch hinzu: "Bist du wegen der Hitze so mürrisch?"
"Ich bin nicht mürrisch!" widersprach Dominie. "Jedenfalls nicht wegen dir! Geh ruhig mit den anderen baden, aber dass du mir nicht so viele Faxen machst! Sonst ertrinkt mir noch einer von euch!"
Gavin überhörte die gerade erhaltene Erlaubnis. "Auf wen bist du denn dann so böse? Auf FitzJohn? Oder Armand?"
Offenbar war ihr die Antwort vom Gesicht abzulesen.
"Warum?" wollte ihr Bruder wissen. "Was hat er verbrochen?"
"Nichts!" Dominie machte kehrt und setzte ihren Weg zur Burg hin fort. "Armand hat überhaupt nichts verbrochen! Dein Held ist geradezu ein Ausbund an Tugend! Nun geh schwimmen und lass mich in Ruhe!"
Unbekümmert wie immer marschierte Gavin im Gleichschritt neben ihr her. "Ganz sicher war's nicht seine Absicht, dich zu verärgern. Er mag dich nämlich sehr! Deshalb ist er zurückgekommen, und wegen dir hat er sich so geschunden!"
Gegen ihren Willen verlangsamte sie ihren Schritt. "Das … das hat er dir erzählt?"
"Genau das!" Die Worte sprudelten dem Jungen nur so aus dem Mund, als habe er regelrecht einen Anlass gesucht, sie loszuwerden. "Er sagte, du seiest schön und klug … und irgendwas von Glühwein!"
Dominie merkte, wie ihr die Wangen wie Feuer brannten. Aus Furcht, man könne ihr die Gefühle ansehen, schaute sie ihren Bruder nicht an. "Und warum, wenn du mir diese Bitte gestattest, hat er dir das alles auf die Nase gebunden?"
"Weil ich ihn fragte, ob ihr zwei euch vermählen werdet – jetzt, wo er wieder da ist!"
"Gavin!" Sie musste an sich halten, sonst hätte sie diesem Burschen noch Schläge angedroht. "Das darf doch nicht wahr sein!"
"Warum denn nicht? Was ist so unschicklich an meiner Frage? Schließlich bin ich Lord Wakeland, und du bist meine Schwester. Da ist es mein gutes Recht, es zu wissen!"
"Freie du gefälligst um deine eigene Gemahlin, sobald du alt genug bist, du Naseweis! Aber halte dich aus meinen Angelegenheiten heraus!" Und so sehr sie es auch versuchte – eine letzte Frage mochte sie sich nicht verkneifen. "Was sagte denn Armand, als du ihn fragtest, ob wir uns vermählen, er und ich?"
"Der wurde bitterböse, genau wie du! Er müsse, so meinte er, wieder fortgehen, sobald die Ernte eingefahren ist, und du müsstest den Gemahl ehelichen, den du brauchst. Was meint er damit, Dominie? Ist Armand etwa nicht der Richtige für dich? Unser Feind ist er doch nun nicht mehr – falls es das ist, was dich bedrückt!"
Warum, so fragte Dominie sich, konnte Armand nicht erkennen, was selbst einem Kind wie Gavin sonnenklar war? "Hat er sonst noch etwas gesagt?"
"Nur, dass zu einer Eheschließung mehr gehört als nur ein Mann und eine Frau, die sich gut sind." Es klang, als wäre der Junge über diesen Gedanken überrascht. "Er meinte, ich würde es besser verstehen, wenn ich älter bin."
Fast wäre ihr der Krug aus der Hand gefallen, als Dominie vernahm, dass ihre eigene Einstellung zur Heirat nun Armand zugeschrieben wurde. Hatte ihn der Exkurs außerhalb seiner Klostermauern endlich etwas praktische Lebensweisheit gelehrt?
Sie blieb stehen und sah ihren Bruder an. "Armand hat ganz Recht. Du wirst es fürwahr begreifen, wenn du älter bist. Verzeih, dass ich dich vorhin so heftig anfuhr. Du kennst ja mein Temperament – im Nu fuchsteufelswild, schnell abgekühlt."
"Dann bist du Armand also nicht mehr gram?" Gavin vollführte einen kleinen Hüpfer. "Du schickst ihn nicht fort?"
Dominies Blick schweifte zurück zur Heuwiese. Falls Armand endlich den Sinn der Ehe begriffen hatte, dann bot sich womöglich für sie beide eine Chance. Die Mutter hatte doch Recht gehabt, als sie davon sprach, es sei Dominies Pflicht, für das zu kämpfen, was sie erreichen wollte. Die Ereignisse der Thronstreitigkeiten hatten ihr bewiesen, dass eine verlorene Schlacht noch lange keinen verlorenen Krieg bedeutete, sondern nur die Notwendigkeit, die Reihen neu zu ordnen und einen neuen Anlauf zu nehmen.
Ein günstigerer
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