Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
von Leonsperg. Denn dann entscheidet allein Herzog Wilhelm über ihr Schicksal«.
Überreiter streckte sich.
»Ihr hört von mir, sobald es vorbei ist.«
Er verließ rasch den Raum.
Zurück in der Schirmgasse, beruhigte er seine höchst aufgeregte Mutter. Dann steckte er Widmannstetters Dolch ein, den er seit der Löwengrubennacht in seinem Bettkasten versteckt hatte. In der fahlen, eiskalten Morgendämmerung verließ er sein Haus zum zweiten Mal. Niemand sah ihn. Er ging nicht durch die Gassen, sondern erreichte das Haus der Mätresse von hinten über die Baustelle des italienischen Teils der Stadtresidenz. Dort war kein Mensch. »Den baut ihr nicht mehr zu Ende«, dachte er. Leise klopfte er an Ursulas Haustür. Eine Magd öffnete einen Spalt.
»Ich muss mit deiner Herrin sprechen. Ist sie wach?«
Als Ursula erschien, erschrak sie über sein todernstes Gesicht und ließ ihn ein.
»Was führt Euch zu mir, Meister Niklas, zu so früher Stunde?«
»Fräulein von Weichs, Ihr seid in höchster Gefahr. Der Hofrat Eck weiß, dass Widmannstetter hier ist. Er ist auf dem Weg, um ihn festzunehmen und nach München zu bringen.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«
»Von meiner Geliebten, der Frau des Küchenmeisters. Sie hat es von den Köchen gehört, die sich darüber freuten. Ich habe ihr Haus vor der Morgendämmerung verlassen, wie ich es immer tue. Eck stand schon am Schanzl mit seinem Trupp Bewaffneter. Sie wollen nicht nur Widmannstetter festnehmen, sondern auch alle, die ihm geholfen haben: Euch, das Fräulein von Leonsperg, die Herzogin Sabina. Weil Ihr Komplizinnen seid und Verräterinnen.«
»Was ist mit Ludwig? Den kann er nicht einfach arretieren.«
»Er will ihn unter Hausarrest stellen in der Residenz, bis sein Bruder nach Landshut kommt.«
»Bei allen Heiligen, Baumeister, was sollen wir nur tun?« Ursula zweifelte nicht mehr an Überreiters Aussagen.
»Holt den Herzog, seine Tochter und die Herzogin! Ich bringe Euch zu meinem Haus. Niemand wird bei mir suchen. Das gibt uns Zeit.«
Ursula stürzte zum Gang im ersten Stock, der in die Residenz führte. Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, rannte auch Überreiter die Treppe hoch zu Ursulas Schlafstube. Die Magd, die sich ihm in den Weg stellte, warf er gegen die Wand, wo sie reglos liegen blieb. Mit wenigen Schritten durchmaß er den Raum und stand vor der Tür zur Kammer. Er zückte seinen Dolch und stieß die Tür auf. Zu seiner grenzenlosen Überraschung war das Bett leer. Er legte eine Hand darauf – noch warm! Brüllend vor Wut verwüstete er den Raum, fand seinen Rivalen jedoch nicht. Er trat in Ursulas Zimmer, riss die Gardinen ihres Bettes herunter und schrie Widmannstetters Namen. Er zerfetzte mit seinem Dolch die Bettwäsche, die Kissen und Decken. Schließlich hob er den Bettkasten hoch und entdeckte darunter den Gelehrten. Widmannstetter sprang in Todesangst auf und ergriff eine eiserne Schaufel neben dem Kamin. Überreiter wollte auf ihn zuspringen und ihm den Dolch ins Gedärm rammen, doch seinem Gegner gelang es, ihm mit der Schaufel ins Gesicht zu schlagen. Was jeden anderen Mann in tiefe Bewusstlosigkeit geschickt hätte, konnte dem Baumeister nicht viel anhaben. Er brüllte zwar vor Schmerz auf, ließ sich von seinem Vorhaben aber nicht abbringen. Der Gelehrte schlug ihm mit letzter Kraft den Dolch aus der Hand, doch dann packte Überreiter ihn mit zwei Händen am Hals, rang ihn zu Boden und drückte zu so fest er konnte. Widmannstetter wurde schwarz vor Augen.
»Willst du endlich sterben, du elende Giftschlange?«, schrie er. »Was für ein Hexer bist du, der meine Schläge und die Löwen überlebt? Du hast meine Anna verhext. Dafür sollst du jetzt büßen. Fahr zur Hölle!«
Da hörte er, wie hinter ihm die Tür aufgerissen wurde. Er ließ von dem Gelehrten ab, griff nach dem Dolch, drehte sich um … und stand nicht vor dem Herzog, den er erwartet hatte und mit Widmannstetters Waffe erstechen wollte, sondern vor Anna Lucretia. Diese nutzte seine Überraschung und stieß ihm kaltblütig mit aller Kraft zwei Finger in die Augen. Einen Augenblick lang geblendet, brüllte er auf und stürzte aus der Stube. Im ganzen Haus entstand jetzt Lärm. Überreiter trat einer vor ihm flüchtenden Katze auf den Schwanz, die ihm laut fauchend ihre Krallen und Zähne ins Bein bohrte. Er sah noch Ludwig, mit einem Schwert bewaffnet, aus dem Gang zur Residenz treten, dann lief er die Treppe herunter und sprang aus dem Haus, als ob ihn
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