Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
anzurühren? Gibt es nur noch Verräter um mich herum? Du hast dich bespringen lassen wie eine läufige Hündin? Du lügst! Das kann nicht sein.«
Anna Lucretia trat entschlossen drei Schritte auf ihren Vater zu. Ihre Lippen waren blass, ihre Augen voller Verachtung.
»Habt Ihr das von meiner Mutter auch gedacht, als sie mit mir schwanger ging? Habt Ihr das auch ihr ins Gesicht gesagt? Wohl nicht, oder? Warum jetzt mir? Verratet mir den Grund! Ja, ich habe mich anrühren lassen, bevor er in Eurem Auftrag nach Württemberg aufbrach, weil ich wusste, kein anderer wird mich je berühren. Ihr habt mir das Recht zugestanden, ihn zu lieben. Das tue ich, nicht mehr und nicht weniger. Wir sind keine Heiligen – ich nicht, Ihr nicht, niemand hier. Wir alle sind Sünder und Verräter, auch ohne es zu wollen, auch ohne es zu wissen. Deshalb kann sehr wohl sein, Vater, was Ihr immer noch so hartnäckig leugnet. Mächtige Männer trachten Euch nach dem Leben. Männer, denen Ihr vertraut habt. Nicht ein kleiner, liebestoller Baumeister.«
»Was meinst du damit? Ich verstehe gar nichts mehr.«
Ludwig war völlig überwältigt. Anna Lucretia wurde eisig.
»Sehr einfach, Vater. Ich habe mit Überreiter gespielt, um die wahren Mörder zu entdecken. Der Hofrat Eck hat es verstanden. Wer sonst hätte ihm verraten können, wo Johann Albrecht sich befand? Wer hätte es verraten wollen? Dann hat Eck mit ihm gespielt. Das schwöre ich, obwohl ich es weder gesehen noch gehört habe: ›Das Fräulein hat dich verraten, Baumeister. Ihr Liebhaber ist zurück, die kleine Hexe versteckt ihn bei der Mätresse. Alle sind sowieso Verräter – der Herzog, seine Schwester, seine Geliebte. Geh und töte sie alle! Ich bin mächtig, ich schütze dich.‹ Es tut mir leid, Vater. Ich weiß, dass Ihr wegen Eck jetzt gegen Euren Bruder kämpfen müsst. Das ist schlimm, für Bayern schlimm, aber nur Eck ist daran schuld, keiner von uns hier. Er hat die Köche bestochen, damit Ihr an Eurer Vorliebe für Zucker sterbt. Trotz unserer Vorsichtsmaßnahmen. Als das nicht schnell genug ging, hat er Überreiter von Langhahn erpressen lassen, damit der Euch vergiftet. Außerdem hat er Eurer Geliebten mit Gift versetzte Ambra für Euch gegeben. Er hat alles getan, um Euch von Sabina zu trennen. Er hat Johann Albrecht bis nach Württemberg verfolgt. Seine Männer wollten ihn in der Kastuluskirche ermorden. Als das nicht gelang, war der Baumeister sein letzter Trumpf. Jetzt hat er nichts mehr in der Hand. Wir können ihn fangen. Doch Ihr müsst mir erlauben zu handeln, wie ich es für richtig halte.«
»Bei allen Teufeln, was willst du tun? Lass uns die Dinge mit Weißenfelder besprechen.«
»Dafür reicht die Zeit nicht. Noch kann der Hofrat glauben, Ihr seid tot. Das müssen wir nützen. Er muss dem Baumeister etwas versprochen haben für seine Tat. Das finde ich heraus. Dann haben wir ihn. Ich suche Überreiter auf. Ich weiß, wo er ist, wenn er nicht Hand an sich gelegt hat.«
Ludwig sprang auf.
»Das kommt nicht infrage. Er wird dich töten.«
»Nicht dort, wo ich ihn vermute. Lasst mich entscheiden, was mit ihm geschieht!«
Der Herzog packte seine Tochter am Arm. Er zerrte so heftig an ihr, dass sie aufschrie.
»Nein, du bleibst hier und rührst dich nicht mehr von der Stelle! Ich lasse Weißenfelder holen und den Baumeister verhaften.«
Anna Lucretia versuchte vergeblich, sich seinem festen Griff zu entziehen.
»Einen trotz allem fast Unschuldigen bestrafen und Euren Todfeind entkommen lassen? Ist es das, was Ihr wollt? Damit dürft Ihr Eure Seele nicht belasten.«
Das traf. Ludwig schwieg, ließ sie aber nicht los. Anna Lucretia wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Sie konnte doch ihren eigenen Vater nicht schlagen! Da spürte sie eine Hand auf der Schulter. Ludwig sah fassungslos auf die gespenstische Gestalt, die hinter seiner Tochter erschienen war.
»Lass sie los! Lass sie machen, mein Bruder! Sie sieht klarer als wir. Lass sie gehen, sie wird das Richtige tun.«
Sabina, leichenblass, die langen weißen Haare offen über ihrem Hemd, sah aus wie ein Geist, ein Schatten aus dem Jenseits. Ludwig ließ tatsächlich den Arm seiner Tochter los, wich drei Schritte zurück, überzeugt davon, seine Schwester wäre gerade gestorben und erschiene ihm hier ein letztes Mal, bevor ihre Seele eine weite Reise antreten müsste. Auch ihre Stimme klang anders, als er sie kannte.
»Ich bin noch am Leben, mein Bruder. Der Tod hat seine Hand von mir
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