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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
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Anna Lucretia zappelig, mal blass, mal fiebrig, auf Ludwig aber ungemein charmant. Sabina machte das bissig.
    »Glaubst du, es ist alles ausgestanden?«, fragte sie eines Abends ihre Nichte, als diese summend ihre braunen Locken für die Nacht zu einem Zopf band. Die junge Frau hob ihren – offensichtlich abwesenden – Blick.
    »Aber gewiss, liebste Tante. Sieht es nicht danach aus? Mein Vater erholt sich besser und schneller, als wir je gedacht hätten. Niemand murrt mehr über die neue Tafel, ganz im Gegenteil. Johann Albrecht arbeitet wieder in Ruhe. Wisst Ihr, liebste Tante, dass mein Vater mir heute den Wittelsbacherturm versprochen hat? Die großen Wohnstuben darin, meine ich. So muss Johann Albrecht mit seiner Bibliothek nicht umziehen und ich darf in Eurer Nähe bleiben. Im Sommer möchte ich natürlich nach Leonsperg zurück. Es ist so anmutig dort. Das gefällt ihm bestimmt.«
    »Es interessiert dich also nicht mehr, wer deinen Verlobten den Löwen zum Fraß vorwerfen wollte, vom toten Boten ganz zu schweigen?«
    »Aber Tante, was gibt es denn mehr zu wissen? Es war Niklas Überreiter. Da bin ich mir sicher. Johann Albrecht hat recht damit, auch wenn man es dem Schuft nicht nachweisen kann. Wirklich wichtig ist doch, dass er endlich aufgegeben hat. Ich finde ihn nicht mehr überall auf meinem Weg. Er belagert mich nicht mehr. Das ist eindeutig, nicht wahr? Und was den toten Boten betrifft, Tante, so bekommt Ihr bestimmt bald Nachricht. Es kann so viel geschehen. Euer Sohn ist am Leben, das scheint mir gewiss. Alles Weitere erfahrt Ihr noch.«
    Entgeistert schüttelte Sabina den Kopf.
    »Die Liebe macht dich blind, mein Kind.«
    Anna Lucretia antwortete mit einem empörten Blick. Blind vor Liebe? Sie, die sie noch nie so klar in ihrem Leben gesehen hatte? Seit dem ersten Kuss zwischen ihr und Johann Albrecht glitt sie jede Nacht wie durch hellstes Licht zum Brunnenhaus, wo Widmannstetter auf sie wartete. Angst vor Entdeckung hatte sie nicht mehr. In nicht einmal vier Wochen würden sie Mann und Frau sein. Was sollte sie fürchten? Sie vertraute ihm: seinen brennenden Küssen auf ihrer frierenden, zitternden Haut wie ihren endlosen Zwiegesprächen – einer fast noch größeren Wonne, wie sie fand. Sie entdeckte verwundert, was die Liebe zweier Sterblicher ausmacht: diese Öffnung einer Seele zu einer anderen; diesen Fluss der innersten Gedanken frei laufen zu lassen; Worte zu formen, die nicht überlegt werden mussten; die Freude, die eigenen Gefühle im Spiegel des geliebten Gesichts wiederzuerkennen; die Gewissheit, seinen Platz und seine Bestimmung im Leben gefunden zu haben.
    Diese Stunden in der eisigen Luft, die aus dem Brunnenschacht aufstieg, fegten jeden Zweifel und alle Eifersucht hinweg. Ja, sie war rast- und ruhelos, manchmal blass, manchmal fiebrig. Schlafentzug und Kälte spürte sie am nächsten Tag noch stundenlang in den Knochen – aber blind? Nein, das war sie nicht. Gewiss nicht.
    Was Niklas Überreiter betraf, so hatte Anna Lucretia recht. Wohl oder übel hatte sich der Baumeister in seine Arbeit geflüchtet. Einerseits musste er sich um den Bau des riesigen neuen Weinkellers kümmern, denn dieser stand kurz vor der Vollendung und verlangte seinen ganzen Einsatz. Nach Gaudete sollten die ersten Riesenfässer festlich eingeweiht werden; da hatte er alle Hände voll zu tun. Andererseits wusste er sich den Verzicht auf des Herzogs Tochter genauso zu versüßen wie bisher die Wartezeit. Jeden Tag traf er sich nach Abendmahl und Vespergebet im unterirdischen, kirchengleichen Gewölbe mit Theresa Kärgl, dem Eheweib des Küchenmeisters. Diese Zeit war gut gewählt, denn in der Küche wurde noch lange nach dem Vespergebet aufgeräumt, geputzt, gezählt und aufgelistet. In der Nische unter den Treppen, hinter einer imposanten Reihe von Fässern, hatte sich der Baumeister ein bequemes Schlaflager eingerichtet. So konnte er immer wieder länger arbeiten und seine Bautruppe von morgens bis abends besser überwachen. Das war die offizielle Erklärung. Da es in der tiefen Weinkathedrale erbärmlich kalt war, wunderte sich niemand über die Anzahl der Strohsäcke oder die Dicke der Daunendecken. Vom Herzog hatte er sogar einen breiten Überwurf aus Otterfell bekommen, denn feucht war es dort unten auch noch. Die Kärglerin wusste das alles zu schätzen: die Nähe zur Bergstraße, in der viele Hofbeamten, auch ihr Mann und sie, wohnten; der diskrete Zugang über den Folterturm zum äußeren Burghof

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