Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Hofküche holte Anna Lucretia in die Wirklichkeit zurück. Dort herrschte die gewohnte Betriebsamkeit. Die Laufburschen brachten Holz in großen Mengen. Aus der Nachtglut wuchsen die Feuer im großen Kamin, in den Öfen und unter den gemauerten Bratrosten. In der Siedeküche dampfte das Wasser in riesigen Kesseln schon heftig. Joris Kärgl empfing mit seinem Küchenschreiber den Frucht- und den Fischmeister, erteilte den Bäckern und dem obersten Jäger seine Befehle. Dennoch schien die ausgeübte Arbeit ins Leere zu laufen. Niemand siebte, rührte, knetete oder stampfte. Das rhythmische Hämmern in den kleinen und großen Mörsern – die ureigene Musik der Küche, wie Anna Lucretia erstaunt feststellte – fehlte ganz und gar. Die Köche, sonst die gebieterischen Tanzmeister, standen stumm vor der Tür zur Silberkammer; der blasse Langhahn geistesabwesend wie immer, der kugelrunde Grünberger wie erschlafft. Der Zuckerbäcker Xaver Kurzbein putzte sich gewissenhaft die dicke Knollennase und zog verächtlich die Luft hoch, was Soldani neben ihm noch mehr verunsicherte. Sie rafften sich missmutig auf, als Sabina mit ihrer Nichte und dem Küchenmeister zu ihnen kam. Die Herzogin befahl sie in ihren Destillationsraum. Dort herrschte sie und sonst niemand.
»Ab jetzt werden wir hier jede Woche über die herzogliche Tafel beraten. Auch Ihr, Signor Soldani, denn wir wollen nicht auf Euer wertvolles Wissen verzichten. Wir beginnen morgen. Die dritte Adventswoche ist eine Fastenwoche, daran ist nicht zu rütteln. Dennoch halten wir es mit dem Doktor Paracelsus: Es kommen auf keinen Fall zahlreiche Süßspeisen auf den Tisch. Ihr macht es wie unsere Väter: Zucker gehört zu den üblichen feinen Gewürzen, nicht mehr, nicht weniger. Das gilt auch für die Soßen. Butterberge oder Sahneseen nach neuester italienischer Art gibt es nicht mehr, dafür wieder Essig und Agrest, wie es sich ziemt, und geröstetes Brot für die Bindung. Kein Eidotter diese Woche. Meint Ihr, Ihr könnt das noch, Meister Langhahn?«
»Aber gewiss, Ihro Durchlaucht, so was verlernt man nicht.«
»Gut. Kein Fleisch außer Ente, Schildkröte und Biber. Gemüse und pikante Speisen am Anfang der Mahlzeit, soviel Ihr wollt. Signor Soldani, ich hoffe, Ihr habt nicht übertrieben und bietet uns Vielfältiges und Einfallsreiches, sodass die edlen Herrschaften wirklich glauben, sie äßen Liebesglut. Ich für meinen Teil muss mich ja nicht damit vollstopfen. Sonst allerlei Fisch, Pasteten, Käse und Obstspeisen. Ich prüfe das jeden Tag. Was habt Ihr, Grünberger?«
Der Oberkoch verbeugte sich, soweit es ihm sein kurzer Hals erlaubte.
»Verzeiht, Ihro Durchlaucht, aber ich kenne meinen Herrn. Er mag dem Zucker, der Sahne und dem dunklen Wein abschwören, bis seine Kräfte wiederkehren, er mag sogar an dem italienischen Gemüse Geschmack finden, doch grobes Brot wird er nie und nimmer zu sich nehmen. Was sollen wir ihm stattdessen vorsetzen? Der Mensch braucht sein Brot.«
Die Herzogin kniff die Augen zusammen. Der Mann hatte recht. Man konnte viel verlangen von Ludwig, aber sicher nicht, dass er Roggen- oder Gerstenbrot anrührte. Da kam Anna Lucretia eine Idee.
»Zur ersten Mahlzeit des Tages freut sich mein Vater bestimmt über ein Weizen- oder ein Reismus. Da braucht er keine Semmel.«
Bei diesem Gedanken wachte der sichtlich übel gelaunte Zuckerbäcker endlich auf.
»Das ist es! Der Herzog darf gar nicht erkennen, was er für ein Brot isst. Ich könnte Mörserkuchen backen, auch aus grobem Brot, die er zu allerlei Suppen und Brühen essen kann. Das merkt danach keiner mehr. Wein- und Biersuppen schmecken mit dunklem Brot sogar besser. Für Pasteten nehmen wir grob gesiebtes Mehl, das bemerkt man auch kaum.«
Sabina lächelte zufrieden.
»Nun, Herr Zuckerbäcker mit der finsteren Miene, dachtet Ihr, es gäbe keine Arbeit mehr für Euch?«
Doch das mühsame Lächeln Xaver Kurzbeins gefror auf der Stelle, als Claudio Soldani ums Wort bat. Was wollte dieser gerupfte Bologneser Hahn denn schon wieder? Der Italiener machte sich vor dem imposanten Bayern ein Stück kleiner.
»Mit Verlaub, Ihro Durchlaucht, graziosa Principessa, ich wüsste auch einiges, was Brot oder Brei perfettamente ersetzen würde. Darf ich reden?«
Die drei deutschen Köche schrien ihm ein lautloses »Nein« ins Gesicht. Sabina ihrerseits hatte große Lust, es ihnen lauthals gleichzutun, war jedoch langsamer als Anna Lucretia, die inzwischen keinen Groll mehr gegen Soldani
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