Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
warum denn? Warum soll ich den Giftmischer spielen, wenn es dem Herzog doch nicht schadet? Das ist verrückt.«
»Giftmischer! Was für ein scheußliches Wort! Es geht um eine gute Tat, habe ich gesagt. Diese Paracelsusdiät und die italienischen Spinnereien, die sind das wahre Gift. Das ist blanker Unsinn. Wir Köche wissen das, denn wir sorgen sowohl für die Gaumenfreuden als auch für die Gesundheit. Ein Koch, der kein Arzt ist, hat in einer Küche nichts verloren. Früher oder später geht unser Herr an diesem Wahnsinn zugrunde. Dann kann es sehr wohl zu spät sein. Das wollen wir verhindern.«
»Schüttet das Pulver doch selbst in sein Weinglas! Dazu habt ihr genug Gelegenheiten.«
»Eben nicht, Baumeister. Wir werden ständig überwacht von der alten Eule aus Württemberg. Möge sie für ihre Sünden in der Hölle brennen! Die junge Dame von Leonsperg, diese süße Wachtel, die Euch gut schmecken würde, ist sogar noch schlimmer, so versessen, wie sie auf den guten Löwendoktor Widmannstetter ist. Wenn der da kein Hexer und Giftmischer ist! Nein, wir können nichts machen, gerade in der Küche nicht. Obwohl wir es doch besser wissen. Aber Ihr könnt es, Baumeister, übermorgen gibt es dazu die beste Gelegenheit. Überlegt nur: Wenn Ihr das schafft, retten wir Köche unseren Herrn und Ihr, Baumeister, seid den Hexer los. Dafür müsst Ihr noch nicht einmal die Hand in die Löwengrube halten wie beim letzten Mal. Abgemacht?«
Überreiter wusste nicht mehr, wohin mit seinem brummenden Schädel. Er stampfte mit den Füßen auf wie ein Bär im Käfig, nahm dann jedoch die kleine Dose aus der Hand des Rothaarigen.
»Ja, abgemacht.«
11
Überreiter verbrachte eine höllische Nacht auf seinem sonst so geliebten Schlaflager im neuen Weinkeller. Er schlief kaum, sah überall Geister und Spione. Obwohl er alle Hände voll zu tun hatte wegen des Einweihungsfestes, kehrte er am nächsten Tag in sein Stadthaus zurück. Doch auch dort fand er keine Ruhe. Sein Zustand verschlimmerte sich sogar. Schreckliche Bauchkrämpfe quälten ihn, als ob das Pulver in der Holzdose ihm in die Eingeweide kröche. Waren es wirklich nur Mistelbeeren? Was, wenn nicht? Was, wenn der kränkelnde Herzog diese Rosskur nicht vertrug? Wie und wann sollte er das Mistelzeug in Ludwigs Wein schütten? Was, wenn er dabei erwischt würde? Was aber, wenn er diese gute Gelegenheit verpasste, den widerlichen Widmannstetter mit seiner grässlichen Diät aus Landshut zu verjagen?
Die Morgendämmerung erlöste ihn nicht. Wie in Trance löffelte er einen Teil des Pulvers in seinen aufklappbaren Ring, in dem er eine Haarlocke seiner verstorbenen Frau aufbewahrte. Die Dose versteckte er dann unter seinen Zeicheninstrumenten. Seine alte Mutter und die Kinder erschraken, als er sich von ihnen verabschiedete. In der Tat sah er wie ein Todgeweihter aus.
Auf dem Weg zur Burg aber kehrten seine Kräfte langsam zurück. Es war eisig kalt; an den Giebeln, an den Brunnen, an den Kirchendächern funkelten Tausende Eiszapfen gegen den strahlend blauen Himmel. Auf den Treppen von Sankt Martin schauten die Bettler gebannt zu, wie die Kulissen für die Weihnachtsspiele aufgebaut wurden. Am Fest des Ärmsten der Armen erlebten sie ihre glücklichsten Tage des Jahres. Niemand trat sie, niemand verjagte sie, niemand verachtete sie. Sie bekamen großzügig Almosen, Speis und Trank. Die Spiele von Sankt Martin schlossen sie ein: Sie wirkten mit, waren ein Teil des Wunders der jungfräulichen Geburt. Den gequälten Baumeister grüßten sie mit fröhlichen Mienen und ein paar Grimassen. Er ertrug ihre Freundlichkeit aber nicht und lief wie ein Verdammter zum nahen Dreifaltigkeitsplatz. Auf den Ruinen der abgebrannten alten Synagoge erbaut, wurden auch vor der kleinen Dreifaltigkeitskirche Weihnachtsspiele geprobt – dunklere, blutigere als die von Sankt Martin. Taub und blind erklomm Überreiter die Bergstraße hoch zur Burg Trausnitz. Er sah nicht, wie die Kärglerin an ihrem Fenster ihre wogenden Brüste nur für ihn genüsslich in ihr schönstes Festkleid zwängte.
In der Burg herrschte trotz der Fastenzeit ein heiterer Festtagsaufruhr. Dem Herzog ging es gut; jeder hatte gesehen, wie er am Vormittag in Begleitung seines Hundes ausgeritten war. Die Weihnacht nahte, bald würden alle auf dem größten Weinfass sitzen, im kolossalsten Weinkeller, den es je gegeben hatte. Gott segnete das Bayernland und ganz besonders Landshut mit der Trausnitz, der Wiege der
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