Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Die Anwesenden verbeugten sich vor der Herzogin und Sabina atmete auf. Der Italiener und die Deutschen waren unversöhnlich. Daran ließ sich nichts ändern. Aber der Herzog könnte wahrscheinlich einen Vorteil ziehen aus ihrem Wettkampf. Es würde sich lohnen. »Sehr gut. Was habt Ihr Euch überlegt für diese Woche?«
Über diese Ergebnisse zeigte sich Ludwig höchst zufrieden. Er verriet nicht, ob er das Schlimmste befürchtet hatte oder sich einfach an die Speisen seiner Kindheit und Jugend erinnert fühlte, aber er verschlang mit Wonne alles, was ihm vorgesetzt wurde. Xaver Kurzbein, der verhinderte Zuckerbäcker, erwies sich trotz Diät und Fastentagen als außerordentlich einfallsreich. Zu Grünbergers Weinsuppe kredenzte er stets einen anderen Mörserkuchen. Mal fügte er zur Brotmasse Frischkäse und Kräuter hinzu, mal würzte er sie nach Lebkuchenart oder füllte sie mit Datteln und Rosinen. Obst inspirierte ihn besonders, da er versuchte, den verpönten Zucker durch die natürliche Süße der Baumfrüchte zu ersetzen. Diese waren eines Fürsten würdig. Weniger zwar als der edle Zucker, der wie die fernen Gewürze nah an der Quelle der großen Paradiesflüsse wuchs, dennoch dem Himmel nahe genug, sodass er, Xaver Kurzbein, Hofzuckerbäcker, auf edle Zutaten nicht verzichten musste. Dem vom Herzog heiß geliebten Reismus wurden die wohlschmeckendsten Kompotte beigestellt, die Landshut je gesehen hatte – und das mitten im strengen Winter! Er mischte geschickt die bescheidenen Äpfel, Birnen und Quitten mit fleischigen Trockenpflaumen, die er vorher in Süßwein einweichte, und schmeckte deren bernsteinfarbigen Saft mit Rosen- oder Orangenblütenwasser ab. Für die Quittencreme benützte er zweierlei Gewürzmischungen, eine weiße und eine rote, die er dann auf demselben Teller servierte, durchsetzt mit in Safransud gekochten Quittenwürfelchen.
Am Luzientag, dem 13. Dezember, gratulierten ihm Sabina und Ludwig persönlich zum wunderbar vorweihnachtlichen Gericht, in dem das Licht des kommenden Retters sowie das Blut seines Märtyrertodes so eindeutig zu erkennen waren. Davon ermutigt, wagte Kurzbein extravagante Kombinationen. Das heikle Gemüse wollte er auf keinen Fall Soldani überlassen. So fügte er mit großem Erfolg zu einem Honigkompott aus Walnüssen, Birnen, trockenen Aprikosen und Pfirsichen Möhren, Fenchel und Petersilienwurzeln hinzu. Der Herzog stutzte ein wenig bei dem Anblick, probierte und hätte vor Begeisterung fast geflucht. Ohnehin war Ludwig bestens gelaunt, denn seine alten Kräfte kehrten zurück. Die Übelkeit, der große Durst und der ständige Harndrang ließen deutlich nach; die gefährlichen Beingeschwüre schlossen sich. Er lief wieder ohne sofortige Erschöpfung und traute sich in sein Badebecken im Keller des Fürstenbaus.
Als der Herzog durch die Bergstraße und die Altstadt ritt, die Kaufleute in der Neustadt, die Handwerker in der Freyung vor ihren Werkstätten grüßte, in jedem der sieben Klöster einem Gottesdienst beiwohnte, weinten Männer, Weiber und Kinder vor Glück. Am Sonntag Gaudete , dem dritten Adventssonntag, besuchte er – nach einer Nacht im deutschen Bau der neuen Residenz – mit Ursula von Weichs das Vespergebet in Sankt Martin, der himmelhohen Stiftsbasilika der selbstbewussten Landshuter Zünfte. Die unverputzten Ziegelsteine leugneten ihre bürgerliche Herkunft nicht; der Kirchturm, der höchste Ziegelturm der Christenheit, seinen stolzen Anspruch auf Eigenständigkeit ebenfalls nicht. Deshalb zweifelte Ludwig keinen Augenblick an der aufrichtigen Freude der versammelten Stadtbürger, als sie lauthals die Verse »Freut Euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut Euch, denn der Herr ist nahe!« anstimmten. Ursulas Wangen färbten sich rosa wie die Gewänder, die sie zu Gaudete trug. Sie spürte genau: Die Gemeinde schloss sie zum ersten Mal in ihren Gesang ein. War ihre Zeit endlich gekommen? Ahnte Leonhard von Eck das, als er ihr seine Unterstützung versprochen hatte? Versunken in Hoffnung und Dankbarkeit betete Ursula so inbrünstig wie nie zuvor.
10
Sabinas größte Sorge galt nun ihrem Sohn in Württemberg. Jeden Tag hoffte sie auf Nachrichten, die nicht kamen. Es wunderte sie nicht, dass Ludwig ihren Kummer nicht teilte, doch die völlig unerwartete Sorglosigkeit Anna Lucretias hätte sie nicht erwartet. Vielleicht ähnelte sie ihrem Vater doch? Oder raubte die baldige Hochzeit ihr das Denkvermögen? Auf ihre Tante wirkte
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