Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Wittelsbacher. Diese gute Stimmung aber entging dem Baumeister völlig. Statt sofort zum Kellergebäude im äußeren Burghof zu gehen, machte er einen Umweg über die Küche, wo er den Oberkoch Theodor Grünberger um eine Stärkung bat. Der kleine, runde Mann, obwohl sehr beschäftigt, blieb vor Überreiter stehen und musterte ihn aufmerksam.
»Himmel Herrgott, Meister Niklas, wie seht Ihr denn aus? Die Asche meiner Öfen hat mehr Farbe. Wenn das nicht jammerschade ist, an einem Tag wie heute. Eurem Tag, Baumeister! Ist Euch übel? Ist es die Aufregung? So ein zartes Gemüt! Hätte ich nicht gedacht. Ihr habt doch ordentlich gearbeitet.«
Überreiter erschrak. Sah man ihm die Erregung so deutlich an? Gott sei Dank war der Soßenkoch nirgends zu sehen.
»Ich weiß nicht, Meister Theodor, ich habe wenig geschlafen. Es rumort gewaltig in meinem Magen. Vielleicht würde etwas Hypocras helfen mit einem Pfefferkuchen?«
»Nein, das ist nichts bei einem nervösen Magen.« Der Oberkoch zog nachdenklich seinen Kopf in die üppigen Halsfalten. »Ihr kriegt was anderes von mir.«
Er verschwand und kam zurück mit einem Tonschüsselchen voll eingelegter Blätter, die bestreut waren mit weißlich-wachsartigen Krumen.
»Na, na, rümpft doch nicht die Nase. Das mundet hervorragend. Wilder Kopfsalat in Honigessig, eine ganz feine Sache. Die Krumen darauf sind aus der getrockneten Blättermilch. Ob Magen oder Aufregung, es wirkt Wunder. Ist besser als Mohnsaft. Danach fühlt Ihr Euch wie gereinigt. Wie das Unschuldslamm. Setzt Euch vor die Silberkammer, in die muss jetzt niemand hinein. Wartet einen Moment!«
Überreiter würgte den Inhalt des Schüsselchens hinunter. Was sprach dieser dicke, aufgeblasene Kerl vom Unschuldslamm? Hatte Langhahn längst alles ausgeplaudert? Kannten sie in der Küche seinen gefährlichen Auftrag? Es sah nicht so aus. Überall wurde eifrig, doch ruhig und konzentriert gearbeitet. In der großen Mundküche bereiteten zwei junge Mägde Feigenbratwürstchen zu, einen edlen Ersatz in der Fastenwoche für ihre fleischhaltigen Schwestern. Die eine Magd rührte die Masse aus eingeweichten Trockenfeigen, Pfefferkuchen und Mehl, die andere formte daraus auf einem bemehlten Holzbrett die Würstchen. Xaver Kurzbein, der Zuckerbäcker, dem die Süße genommen war, gab seine Anleitungen für ihren Ausbackteig aus Mehl, Weißwein und Eiern. Beide Massen mussten vor ihrer Vollendung noch ruhen. Gleichzeitig arbeitete er auf seiner eigenen Kochstelle am Kompott des Tages. Da Sabina und die Köche beschlossen hatten, Wein und Weinbeeren beim Einweihungsfest besonders zu ehren, enthielten so gut wie alle Festmahlspeisen den göttlichen Saft sowie die für den Winter getrockneten Früchte der Reben. Gerade goss er über fein gewürfelte Quitten und Sultaninen ganze Krüge von bernsteinfarbenem italienischem Süßwein.
Überreiter fühlte sich langsam besser. Der wilde Kopfsalat und seine Milchkrumen schienen tatsächlich zu wirken. Niemand starrte ihn an. Das ununterbrochene Ballett der jungen Holz- und Wasserträger lief wie ein gut geschmiertes Wasserrad. Durch die Tür zum inneren Burghof wurden mehrere Kübel voll frisch geschlachteter Karpfen hereingebracht. Sie waren schon ausgenommen, gesäubert und auch geschuppt. Das machten die Fischmeister gleich bei den Zuchtteichen, denn in der Mundküche wollte man so wenig wie möglich mit dem Fischabfall hantieren müssen. Dennoch begleiteten die Köpfe, die Innereien und die Gräten in einem separaten Kübel die präparierten Fischstücke. Ein Teil wurde gleich für Brühe verwendet, ein Teil für Pasteten, den Rest begutachtete Grünberger. Es war das Privileg des Oberkochs, mit dem Küchenabfall handeln zu dürfen. Mancher schon war damit reicher geworden als durch seine Kochkunst.
Der Oberkoch besah sich sogleich die ungeduldig erwartete Lieferung und verjagte eine Horde von Küchenkatzen, die auf Fischhappen hoffte. Die Zubereitung der Fischbrühe in der kleinen Mundküche übernahm er selbst, das anstrengende Zermalmen des Karpfenfleisches in riesigen Steigmörsern für die falschen Rehbraten überwachte er streng. Denn geriet die Fischmasse zu weich, so würde man sie nicht mit Mandeln, dem Ersatz für die verbotenen Speckstreifen, spicken können – sie würde sich in der Bratpfanne auflösen. Der Anblick des im Siedehäuschen über seinen Kessel gebeugten Kochs trieb Überreiter endlich aus der Küche. Die schnell zubereitete Brühe bedeutete, dass
Weitere Kostenlose Bücher