Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
zu zucken. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte seine Tochter ihn dafür bewundert. »Macht Euch keine Sorgen! Wir kümmern uns um sie. Anna Lucretia wird ihr Gewürzwein bringen. Meister Claudio, meine Schwester wird manches aus der Küche benötigen. Haltet Euch bereit!«
Als das Mädchen und sein Vater wieder in Ursulas Haus waren, untersuchten die drei Frauen gemeinsam Widmannstetters Verletzungen. Sie fanden zwei tiefe Stichwunden, eine am linken Oberarm in Schulternähe, die andere an der Innenseite des rechten Unterarms, außerdem eine lange Schnittwunde an der Brust in Höhe des Herzens. Für Sabina war die Sache eindeutig.
»Er hat sich verteidigt und gleichzeitig mit der rechten Hand gekämpft. Der Angreifer muss gedacht haben, er hätte ihn ins Herz getroffen, weil er so viel Blut verloren hat. Die Blutung hat fast aufgehört. Fräulein von Weichs, welche blutstillenden Mittel habt Ihr im Haus? Was ist wundheilend? Schlangen- oder Hundezunge? Centaurea? Nein, nichts davon? Warum auch … Was könntet Ihr haben? Frauenmantel oder Weinblätter? Lasst es bringen! Vielleicht auch Kornblumen? Sehr gut. Und etwas gegen Wundbrand. Buchensamen, Hyazinthenzwiebeln … das werdet Ihr wohl nicht haben. Kohlblätter aber? Besser als nichts. Macht einen Sud aus den Weinblättern, Frauenmantel und Kornblumen. Gebt ihm Gewürzwein, soviel Ihr ihm einflößen könnt, wenn er wieder zu sich kommt.«
Dann lief sie mit Anna Lucretia in die Residenz, um den Rest zu holen. In der kleinen Küche des Fürstenbaus erteilte sie Soldani weitere Befehle.
»Kind, mach einen Eschenrindensud mit viel Honig! Meister Claudio, ich benötige Kräuter. Salbei, Rosmarin, Minze. Getrocknet. Zerreibt sie mit Baumöl, gebt Zwiebelsaft hinzu und drückt es durch ein Tuch!«
Soldani war in kürzester Zeit damit fertig. Mit dem Sud und dem Öl liefen Anna Lucretia und ihre Tante zurück in Ursulas Haus. Widmannstetter war inzwischen zu sich gekommen und hatte schon ein wenig Gewürzwein getrunken. Zu dritt wuschen sie seine Wunden mit dem Weinblätter- und Blumensud, trockneten sie, trugen das Kräuteröl auf, gaben frische Kohlblätter darauf und verbanden das Ganze so fest wie nur möglich. Danach flößten sie dem Verletzten abwechselnd vom Wein und dem bitteren Eschenrindensud ein. Quälend langsam nur, so empfand es jedenfalls Anna Lucretia, kam er zu sich und begann zu reden.
»Ich muss dem Herzog berichten, unbedingt.«
»Mein guter Doktor Widmannstetter«, knurrte Sabina, »Ihr sagt kein Wort, bis wieder etwas Blut in Euren Adern fließt. Es ist ein Wunder, dass Ihr es in diesem Zustand überhaupt bis hierher geschafft habt. Es hilft niemandem, wenn Ihr jetzt vor lauter Redesucht tot umfallt.«
Widmannstetter schüttelte entschieden den Kopf.
»Ihr müsst mich gleich anhören. Ich fühle mich so schwach, mir scheint, Gott könnte mich jeden Augenblick zu sich rufen. Ich muss jetzt berichten, was geschehen ist und was Euer Sohn mich beauftragt hat, Euch zu sagen. Holt den Herzog!«
Anna Lucretia drückte fest seine leblose Hand.
»Du schweigst. Was immer es ist, es muss warten. Du kommst bald wieder zu Kräften.«
Es gelang ihm nicht einmal, einen Finger zu heben, doch er protestierte weiter.
»Nein, Liebste, ich kann mich nicht gedulden. Lass mich reden, solang es noch geht. Hol deinen Vater!«
Sabina gab ihrer Nichte ein Zeichen. Nach kurzer Zeit kam Anna Lucretia mit Ludwig zurück.
»Ich war in Württemberg und habe Herzog Christoph aufgesucht«, begann Widmannstetter seinen Bericht mit leiser Stimme. »Ich versichere Euch: Er ist wohlauf. Er hat tatsächlich einen Boten mit einem Brief geschickt, den Mann, der in der Küche starb. In seiner Nachricht stand Folgendes: Die lutherischen Fürsten, an ihrer Spitze Markgraf Philipp von Hessen und Herzog Ulrich, bereiten für den Frühling einen Angriff auf das katholische Braunschweig vor. Herzog Christoph wollte wissen, ob Ihr, Hoheit, oder Euer Bruder in München davon Kenntnis erhalten habt. Außerdem, ob in Bayern dagegen schon gerüstet wird oder im Frühjahr armiert würde, falls der Feldzug tatsächlich stattfände. Ferner: Euer Sohn kommt am Tag der Heiligen Drei Könige nach Landshut, um die katholischen Abwehrmaßnahmen mit Euch persönlich zu besprechen, denn alles andere ist zu gefährlich. Der Bote, der von hier nach Württemberg geschickt wurde, ist dort niemals angekommen. Ich selbst hätte es fast nicht zurückgeschafft.«
»Schweige jetzt! Du hast genug
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