Sukkubus - 03 - Kopfüber ins Fegefeuer
nachgedacht.«
Sie sagte nichts, sondern starrte mich nur aus wütenden grünen Augen an, die wie Edelsteine funkelten. Das hier war die zornige Virginia, die wache Virginia – und wenn auch ihr Zorn mir galt, musste ich feststellen, dass sie deutlich lebendiger wirkte, wenn sie sich aufregte, als wenn sie resigniert war. Ab sofort gehst du nicht mehr schlafwandelnd durch die Welt, Virginia. So viel habe ich zumindest erreicht.
Die gute Tat eines Dämons. Der Gedanke ließ mich beinah laut auflachen.
»Darf ich reinkommen?«
Ihre Augen verengten sich, aber sie gab nach und ließ mich rein. Ich betrat das Wohnzimmer und hörte, wie sie die Haustür hinter mir schloss. Diesmal forderte sie mich nicht auf, die Jacke auszuziehen oder Platz zu nehmen. Stattdessen blieb sie bei der Tür stehen, die Arme verschränkt, die Hüfte vorgestreckt, ihr Gesichtsausdruck aufgesetzt neutral. Aber so gut sie sich auch verstellte, ich roch ihre Wut – einen Geruch von Senf, gewürzt mit schwarzem Pfeffer.
Ich streckte die Hände von mir, Handflächen nach oben gedreht, als wollte ich sie um irgendetwas anflehen. Vergebung? Verständnis? Ich wusste es nicht. Ich veränderte die Geste und fuhr mir stattdessen mit den Fingern durch mein dichtes Haar. Ich hatte keine Ahnung, wie ich anfangen sollte. Ich fand keine passenden Worte.
Jezebel hatte gesagt, ich solle meinem Herzen vertrauen. Aber entgegen ihrer menschlichen Eingebung hatte ich nun mal kein Herz, nicht im gewöhnlichen Sinne. Ich war ein Dämon, groß geworden in der Hölle und dazu beauftragt, böse Menschen zu verführen. Ich tötete sie und führte ihre Seelen in die Hölle, damit sie verurteilt und gefoltert wurden. Und ich tat es gern.
Mehr noch: Die Rolle definierte mich. Ich war diese Rolle. Nichts anderes. Daunuan, Geschöpf der Lust. Inkubus deluxe. Ich hatte kein Herz. Ich hatte keine Gefühle – dieser ganze Scheiß war was für Menschen, für Schwachköpfe wie Jezebel, die meinten, sie wären verliebt.
Also, was zur Hölle sollte ich Virginia nur sagen?
Daun, sei nicht so ein Macho.
Jezebels Stimme durchbohrte mich, scharf wie ein Diamant.
»Don?«, sagte Virginia. Zaghaft. »Alles in Ordnung?«
Ich öffnete den Mund, und die Worte sprudelten heraus, ehe ich sie aufhalten konnte: »Ich habe gelogen. Vorhin. Als du mich gefragt hast, wer sie ist, und ich geantwortet habe, niemand. Da hab ich gelogen.«
Virginia sah mich an – ein langer, eindringlicher Blick, der sich in meinen Schädel bohrte.
»Ihr Name ist Jesse.« Selbst das war eine Lüge, aber ich konnte sie nicht Jezebel nennen. Nicht hier, nicht vor Virginia. »Sie ist Tänzerin. Sie …« Mein Atem stockte; ich schluckte, versuchte es aufs Neue. »Ich kenne sie schon seit ewigen Zeiten, lange bevor sie sich für ihr jetziges Leben entschieden hat. Wir waren ewig zusammen, haben so viel zusammen durchgemacht. Ich konnte es mir gar nicht anders vorstellen.«
Meine Jezebel, im Wandel der Jahrhunderte. Ihre äußerliche Gestalt veränderte sich über die Jahre, doch ihr wahres Wesen blieb immer gleich – frech, fröhlich, temperamentvoll. Mein kleiner Sukkubus.
Virginias Blick wurde sanfter, die dünne Linie ihrer Lippen entspannte sich. Sie wartete ab.
»Es gab im Laufe der Jahre noch andere«, sagte ich, in der Absicht, möglichst ehrlich zu sein. Virginia war ein guter Mensch; das Mindeste, was sie verdiente, war Ehrlichkeit. »Sie hatte ihren Job, ich hatte meinen. Aber wir haben es immer irgendwie geschafft, uns zu treffen. Und ein wenig Zeit miteinander zu verbringen.«
Virginia beobachtete mich, aber ich beachtete sie kaum – ich dachte daran, wie Jezebel sich anfühlte; wie unsere Körper, feucht vor Schweiß und Blut, den Takt einer Sinfonie vorgaben, welche die Musik des Rotlichtbezirks bildete; wie sich ihre Krallen in meinen Rücken gruben, während sie vor Leidenschaft kreischte; wie mein Schwanz tief in sie eindrang, sie erfüllte, sie ergänzte. Wie sie mich ergänzte.
»Und dann hat sich ihr Job verändert.« Alles hatte sich verändert – der König, das Land, sogar die Sünden, vorausgesetzt, dass Eris die Wahrheit sagte, was im Grunde ein Glücksspiel war, denn was war Eris schon anderes als die Verkörperung von Zwietracht? »Ihr Job hat sich verändert, und sie ist nicht damit klargekommen. Also hat sie sich entschlossen zu gehen. Sie hat alles, was sie kannte, aufgegeben, um Tänzerin zu werden.«
Ich sehe sie vor mir, wie sie sich auf der Bühne bewegt, wie das
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