Summer and the City - Carries Leben vor Sex and the City: Band 2 (German Edition)
irgendeinen Bekannten getrofen hat, mit dem er unbedingt ein paar Worte wechseln muss. Die Luft ist rauch- und schweißgeschwängert und das aufgeregte Stimmengewirr signalisiert unverkennbar, dass dies heute Abend einer der angesagtesten Orte Manhattans ist.
Um mir erst einmal einen Überblick zu verschafen, stelle ich mich unaufällig in eine Ecke und beobachte aus sicherer Entfernung den Kreis von Gratulanten, die sich um einen stämmigen Mann mit Ziegenbärtchen und tief liegenden Augen geschart haben. Er trägt einen schwarzen Malerkittel und bestickte Pantofeln, weshalb ich annehme, dass es sich um den großen Barry Jessen höchstpersönlich handelt – Rainbows Vater. Sie selbst steht hinter ihm. Obwohl sie ein leuchtend grünes Fransenkleid
trägt, kommt sie mir zum ersten Mal, seit ich sie kenne, seltsam unscheinbar und unsicher vor. Ihre Mutter, das Model Pican, steht neben ihrem Mann, den sie um mindestens eine Kopflänge überragt.
Pican hat den kalkuliert unbefangenen Blick einer Frau, die sich ihrer außergewöhnlichen Schönheit bewusst, gleichzeitig aber auch fest entschlossen ist, ihr Aussehen nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Sie hält den Kopf leicht geneigt und schmiegt sich an ihren Gatten als wolle sie ausdrücken: »Ja, ich weiß, dass ich schön bin, aber heute Abend steht er im Scheinwerferlicht.« Wahrscheinlich ist das der ultimative Liebesbeweis.
Oder eine verdammt gute schauspielerische Leistung.
Da ich weder Ryan noch Capote irgendwo entdecken kann, tue ich so, als würde ich mich brennend für die Kunst interessieren, die an den Wänden hängt. Eigentlich sollte man meinen, die anderen Gäste würden sich ebenfalls dafür interessieren, aber tatsächlich herrscht vor den meisten Gemälden gähnende Leere, als ginge es auf einer Vernissage vorrangig darum, Kontakte zu pflegen.
Womöglich gibt es dafür auch andere Gründe. Ich weiß nicht, wie ich die Bilder finden soll. Es sind düstere, hauptsächlich in Schwarz und Grautönen gehaltene, flüchtig hingeworfene Darstellungen von Menschen, die aussehen, als wären sie schrecklichen Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Alles ist von Blutspritzern übersät und die Gestalten werden von Messern und Nadeln durchbohrt, während sich aus dem Dunkel am unteren Bildrand scharfe Klauen nach ihnen ausstrecken. Die Gemälde wirken extrem verstörend und brennen sich unauslöschlich in die Erinnerung ein, was vermutlich auch genau so beabsichtigt ist.
»Und? Was sagst du zu den Bildern?«, fragt Rainbow, die plötzlich neben mir steht. Ich bin überrascht, dass sie sich dazu herablässt, mich nach meiner Meinung zu fragen, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass außer mir noch niemand in ihrem Alter da ist.
»Sie sind … kraftvoll«, sage ich.
»Ich finde sie unheimlich.«
»Wirklich?« Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie so ehrlich ist.
»Aber erzähl das bloß nicht meinem Vater.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab.«
»Ryan hat schon erzählt, dass er dich mitbringt«, sagt sie und wickelt sich eine Franse ihres Kleids um den Finger. »Schön, dass es geklappt hat. Ich hätte dich gern selbst eingeladen, aber ich hatte deine Nummer nicht.«
»Kein Problem. Ich freue mich, hier zu sein.«
Sie lächelt und zieht weiter, während ich mich wieder in die Betrachtung der Gemälde vertiefe. Vielleicht ist es ja doch nicht so schwierig in New York Fuß zu fassen und es genügt, sich auf ein paar wichtigen Veranstaltungen zu zeigen. Wenn die Leute einen oft genug sehen, gehen sie ganz automatisch davon aus, dass man eine von ihnen ist.
Als Ryan und Capote irgendwann auftauchen, sind sie schon sichtlich angeheitert. Ryan torkelt leicht und Capote grüßt fröhlich nach links und rechts, als wären alle um ihn herum beste Freunde.
»Carrie!«, ruft er und küsst mich auf beide Wangen, als würde es ihn zum glücklichsten Menschen der Welt machen, mich hier zu trefen.
Irgendein geheimes Signal lässt plötzlich Bewegung in die Menge kommen und ein paar Leute streben auf den Ausgang zu. Es handelt sich ganz ofensichtlich um die Auserwählten – zumindest dazu auserwählt, am Dinner teilzunehmen.
»Na los«, sagt Ryan und deutete mit dem Kopf Richtung Tür. Während wir dem erlesenen Grüppchen nach draußen folgen, sagt er kopfschüttelnd: »Das war ja furchtbar. Man muss sich wirklich fragen, was aus der Welt geworden ist, wenn so was als ›Kunst‹ bezeichnet wird.«
»Du bist eben ein Banause«, entgegnet
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