SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
wandte sich an Takeda.
«Wieso sind Sie mit uns mitgekommen und nicht allein weitergereist, um diesem Goldfinger einen Besuch abzustatten?»
«Als alleinreisender Asiate falle ich in Osteuropa zu sehr auf. Ich habe mich vor meiner Reise nach Zürich über diesen Kranyek informiert. Viel war nicht in Erfahrung zu bringen. Er leitet sein Unterwelt-Imperium von seinem eigenen Privatclub in Bratislava aus. Seine Heimatstadt Minsk ist zu weit ab vom Schuss. Darum residiert er in der slowakischen Hauptstadt, von wo man innerhalb weniger Autostunden Wien, Prag, Budapest und Zagreb erreichen kann. Außerdem liegt Bratislava an der Donau, was weitere Vorteile mit sich bringt.
Kranyek besitzt in Bratislava mehrere Liegenschaften und ist selten in der Öffentlichkeit anzutreffen. Alleine komme nicht einmal ich an ihn ran.»
Tony hatte eine Idee. «Ich denke, die einzige Chance besteht darin, diesen Kranyek zu kontaktieren und um eine Audienz zu bitten. Dann werden wir ihm vorgaukeln, dass wir den Spezialservice der Phy ebenfalls in Anspruch nehmen wollen. Vielleicht will er was für die Information haben, aber ich denke wir können ihm auch was bieten. Ich habe Geld.»
«Und was wenn er uns einfach umlegen lässt?» Vince dachte pragmatisch.
Takeda blickte finster. «Ich denke nicht, dass er ein solch lukratives Geschäft ausschlagen wird. Kranyek ist sicherlich ein rücksichtsloser Mörder und ein ausgekochter Gangster, aber er ist nach meinen Nachforschungen zu schließen vor allem eines: ein überaus tüchtiger Geschäftsmann, der kaum genug kriegen kann von druckfrischen Geldscheinen.»
Tony holte sein Smartphone hervor und rief im Browser ein Online-Hotelportal auf.
«Dann sind wir uns also einig? Ich sehe nur eine Chance, uns alle ans Ziel zu bringen. Wir müssen zusammenarbeiten. Ich schlage vor, wir reisen getrennt nach Bratislava. Wir treffen uns da im Hotel Poltava übermorgen um die Mittagszeit. Das hohe Gebäude liegt nahe am Zentrum, hat viele Zimmer und wird vorrangig von Touristen genutzt. So bleiben wir unauffällig.
Ich werde für uns alle Zimmer reservieren und dafür aufkommen für die ersten Tage. Dann sehen wir weiter. Einverstanden? Hier ist meine Nummer für alle Fälle.»
Tony drückte Takeda und Havering eine seiner auf feinstes Papier gedruckten Visitenkarten mit Prägung in die Hand.
Sie nickten.
Vince knurrte.
5
Die frühe Mai-Sonne wärmte Tonys Haut im Gesicht und an den Unterarmen. Er saß mit Vince auf einer Bank in der Nähe der Burg und blickte über die Dächer der idyllischen Altstadt. Das säuberlich renovierte historische Gebäude auf dem Burghügel erstrahlte in hellen Gelbtönen in ihrem Rücken.
Bratislava. Wer hätte das gedacht.
Es war kurz nach 9 Uhr. Der frühmorgendliche Flug von Zürich nach Wien und weiter mit dem Taxi nach Osten war ohne Zwischenfälle verlaufen. Sie hatten ihr Gepäck im Hotel deponiert und sich aufgemacht, um die Stadt zu erkunden. Die Zimmer würden nicht vor Mittag für sie bereit sein, hatte es geheißen.
Tony drehte den Kopf in Richtung Park und nahm einen Schluck vom Milchkaffe in seinem Pappbecher. Er blickte zu Vince hinüber, der die Augen geschlossen hatte und sich ebenfalls von den Strahlen berieseln ließ.
«Schön hier! Ich bin froh, dass ich dich dabei habe. Wer weiß, was uns hier erwartet. Ich hoffe, Havering schafft es auch.»
«Jap! Verdammt riskant, aber er hatte wohl keine Wahl. Wird er geschnappt, sitzt er ganz schnell in einem Flugzeug mit direktem Kurs in die Zelle eines amerikanischen Hochsicherheits-Trakts. Hochverrat is’ nicht unbedingt ein Kavalliersfurz.»
«Trotzdem. Dank den offenen Grenzen in Europa müsste er es eigentlich schaffen, wenn er nicht unsägliches Pech hat und in eine Stichkontrolle gerät. Von Zürich bis hier sind es nur zwei Grenzübergänge. Aus der Schweiz nach Österreich, und von da ganz im Osten in die Slowakei. Hoffen wir das Beste!»
«Hmm ja … Schon was vom Japsen gehört?»
«Nein. Aber es ist ja noch Zeit bis zum Mittag.»
Sie saßen einen Moment schweigend da. Tony fühlte die schwere Last wieder auf seinem Herzen, welche er jahrelang weggeschoben hatte. Die letzten zwei Wochen war er zu sehr abgelenkt gewesen, um daran zu denken.
«Sag mal Vince, kennst du Huis Clos ?»
«Was für’n Klo?»
«Ich meine das Buch von Jean Paul Sartre. Dem Existentialisten.»
«Ah so, Paul der Exitspezialist. Was ist der? Ne, lese keine Bücher. Um was geht’s’n da?»
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