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SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)

SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)

Titel: SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David J. Dives
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Vince setzte seinen ahnungslosesten Gesichtsausdruck auf.
    Tony fuhr fort. «Hab mir fast gedacht, dass dir das nichts sagt. Es handelt von Lüge und Selbstbetrug.»
    «Klingt nicht gerade nach ner netten Story. Aba erzähl mal! Hab’ gerade nix anderes vor.»
    «Sartre war ein französischer Philosoph und Autor. Habe einige Werke von ihm gelesen in den ersten Jahren an der Uni, bevor ich zur Business & Finance School gewechselt und meine Karriere begonnen hab. Sartre hat zeitlebens über den Existentialismus geschrieben, in Form von Theaterstücken und anderen Geschichten. Er hat diese Lehre quasi erfunden, gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten in Paris. Im Kern geht es um die Eigenverantwortung des Menschen.»
    «Aha. Aber das is doch normal, spätestens wenn man erwachsen is’.»
    «Wenn du es genau betrachtest, eben nicht. Wie viele Menschen gibt es, die mit ihrem Leben unzufrieden sind, und dies auf das Verschulden anderer Leute zurückführen? Dafür gibt es hunderte von Beispielen. Schuld sind meist die Eltern, die Vorgesetzten oder umgekehrt die Angestellten. Oder es sind die Reichen, Leute anderer Hautfarbe, Menschen anderer Nationalitäten, anderer Religionen, anderer Gesinnungen. Oder schuld ist ein Unfall, eine Krankheit oder ein Gebrechen. Es ist sehr einfach, ständig eine Ausflucht zu suchen und alles außer sich selbst und sein eigenes Handeln in die Verantwortung zu nehmen. Der Existentialismus besagt im Kern, dass du das bist, was du tust, und nicht einfach das, was du bist. Also jeder ist für sein Tun und Handeln selbst verantwortlich. Verstehst du?»
    «Oh. Dann bin ich aber was ganz Übles, gemessen daran, was ich getan habe.»
    «Aber du hast damit aufgehört, nicht? Also hast du deine Verantwortung wahrgenommen. Du hast im entscheidenden Moment eben einen Befehl missachtet, der zu weit ging. Das ist doch beachtenswert. Es gibt Zwangslagen, da kann man nicht immer wählen. Wichtig ist, dass man’s irgendwann merkt und was ändert.»
    «Ja, schon, aber früher hab ich vieles ohne Nachdenken getan.»
    «Das ist auch völlig menschlich. Der Existentialismus ist auch ein Humanismus, das heißt, die Lehre geht vom Menschen als Zentrum aus. Und jeder Mensch macht Fehler, die Frage ist nur, ob man was daraus lernt. Oder ob man eben ständig anderen die Schuld gibt.»
    «Ja, so geseh’n hab ich schon ein bisschen was verbessert.»
    «Sonst hätte ich dich wohl nicht angeheuert. Du scheinst echt zu sein, verstehst du? Aufrichtig. Du machst dein Ding. Und du bist kein Lügner und kein Feigling.»
    Vince lächelte. «Danke Boss. Aber was hat das nun mit diesem Ui Glo zu tun?
    «In dem Buch von Sartre geht’s um drei Personen, zwei Frauen und einen Mann, die in der Hölle sitzen. Die Hölle schaut aus wie ein Hotelzimmer, bloß ist es etwas wärmer als gewöhnlich. Die Türen sind verschlossen. Der Witz daran ist, dass alle drei Personen zeitlebens sich selbst und andere belogen, und sogar in den Wahnsinn oder Selbstmord getrieben haben. Aber alle drei waren der Auffassung, dass sie fein raus sind. Dass sie keinerlei Schuld trifft.»
    «Das klingt aber nach mächtig fiesen Typen.»
    «Ja, die drei sind nicht gerade das, was man als aufrichtig bezeichnen würde. Sie belügen sich ständig selbst, also sind sie gleichzeitig Lügner und Belogene. Sartre nennt das mauvaise foi. Selbstlüge. Jämmerlich. Jedenfalls besteht ihre Strafein der Hölle darin, dass sie sich gegenseitig den Spiegel vorhalten. Sich gegenseitig ausfragen. Und im Verlauf der Geschichte einsehen, was sie getan haben.»
    «Klingt einleuchtend. Aber sag ma, Boss, hat das irgendwas mit dir zu tun? Irgend ’nen Grund muss es ja haben, dass du mir das alles erzählst.»
    Tony seufzte. «Nun ja, es ist so: Ich hatte vor einiger Zeit einen üblen Streit mit Carl. Er hat mir damals vorgeworfen, ich sei blind vor Habgier und richtiggehend süchtig nach meiner Arbeit. Ich täte mich nicht um meinen Vater kümmern, der gerade genug verdiente, um sich durchzuschlagen.  
    Das war vor drei Jahren. Richtig ist dass ich süchtig war nach meiner Arbeit. Habgierig in dem Sinn war ich nie. Ich arbeitete damals bereits seit ein paar Jahren als Broker bei einer erfolgreichen Investmentbank in Manhattan. Ich habe mich völlig in dem Job verloren. Koks, Kundenabende in den edelsten Etablissements, Edelnutten, 16-Stunden-Tage, kaum Wochenenden. Es ging eigentlich gar nicht in erster Linie ums Geld. Mehr um den Wettkampf mit den Arbeitskollegen, um die

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