SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
beiden Kameraden in den Gängen und in leerstehenden Räumen im Rumpf des Schiffes. Zwischendurch Essen. Schlafen. Ständig rumorten die gewaltigen Schiffsmotoren in weiter Ferne. Das dumpfe Dröhnen wurde von feinen Vibrationen begleitet, welche von den Schiffschrauben herrührten.
Vince hatte sich am dritten Tag in der näheren Umgebung ihrer «Koje» umgesehen und zwei Stockwerke über ihnen einen Lagerraum entdeckt, der unter der Decke über eine Reihe von Bullaugen verfügte, welche über der Wasseroberfläche lagen. Ihre Schlafstätte hingegen befand sich geschätzte zehn Meter unter dem Wasserspiegel und bestand aus rauen Stahlwänden, von denen die hellgrüne Farbe abblätterte. Sie glich einem Verlies. Es war ständig kühl. Ein kleiner Holzofen sorgte für halbwegs erträgliche Temperaturen. Die Pritschen rochen übel, die Wolldecken waren alt und löchrig. Eine alte Gaslampe verbreitete einen süßlichen Geruch und diente als einzige Lichtquelle. Die erste Nacht war der Horror gewesen, inzwischen hatten sie sich daran gewöhnt.
Das Klo bestand aus einem alten Abflussrohr und einem Kübel, in welchen aus einer rostigen Leitung ständig Wasser tropfte. Das SPA – wie sie es getauft hatten –befand sich etwas abseits weiter hinten im Korridor. Tony kam sich vor wie in einem Konzentrationslager. Sein Geist nahm ähnliche Zustände an. Wie Insassen. So gab er jedem speziellen Ort einen Namen. Damit sie wenigstens ab und zu etwas zu lachen hatten.
Der Lichtblick – so hatte Tony den Lagerraum über ihnen benannt – war soetwas wie ein Zufluchtsort geworden. Weiter hinauf wagten sie sich nicht vor. Zu groß war die Gefahr, entdeckt zu werden. Aber mindestens zweimal pro Tag gingen sie zu dritt hinauf in den Lichtblick , schauten hinauf zum schwachen Sonnenlicht, das durch die trüben runden Fenster hineinfiel, und rauchten schweigend ihre selbstgedrehten Zigaretten. Havering machte mit jedem Tag einen abgekämpfteren Eindruck, seine Hände zitterten, wie wenn er Entzugserscheinungen hätte. Tony dachte sich nichts weiter dabei und führte die Symptome auf die Vermutung zurück, dass Havering unter Platzangst litt. Er schnitt das Thema nicht an.
Während eines ruhigen Moments des gemeinsamen Tabakrauchens, als niemand das Schweigen zu brechen vermochte, wandte sich Tony an Vince. «Sag mal, vielleicht ist das eine allzu persönliche Frage, aber wieso genau haben die Killer der Phy Jagd auf dich gemacht?»
Vince zog an seiner Zigarette, blies den Rauch durch die Nase wieder aus und starrte ins Leere. Erst nach einer halben Minute wandte er den Kopf zu Tony und blickte ihn an. Er machte einen erschöpften Eindruck, seine Verletzungen setzten ihm immernoch zu. «Ein bisschen Ehrlichkeit kann wohl nicht schaden. Ist ja der ideale Platz hier für ein Geschichtchen unter Freunden. Wie hieß noch mal das Buch, von dem du erzählt hast? Hui Glo? Das könnte auch im Bauch eines abgefuckten Monstertankers wie diesem hier spielen, wenn du mich fragst. Haha! Egal!
Die Sache war die: Wir hatten den Auftrag erhalten, eine Zielperson in Porto Alegre auszuschalten. Einen Großindustriellen, wahrscheinlich mit Dreck am Stecken. Außerdem galt die Weisung, sämtliche allfällige Zeugen ebenfalls zu beseitigen. Es kam wie es kommen musste. Der Mann war nicht allein. Er hatte zwei Kinder, seine Ehefrau war ebenfalls zuhaus. Ich habe mich geweigert, abzudrücken. Damit hab ich mein Todesurteil unterschrieben. Aber bisher haben mich die Henker noch nicht erwischt!»
Havering blickte Vince an, er war baff. «Üble Geschichte! Aber Respekt, dass du es durchgezogen hast. Vielleicht ein Wink des Schicksals.»
Tony klopfte Vince auf die Schulter. «Jeder andere in deiner Situation hätte den Befehl ausgeführt, und sei es nur um den eigenen Arsch zu retten.»
Vince senkte den Blick. «Wer weiß … Ich hätt’ nichts dagegen, wenn die Jagd endlich zu Ende wäre. Ich hab’ das Weglaufen satt bis oben hin.»
Sie rauchten schweigend weiter und machten sich wieder an die Arbeit. Vince sagte kein Wort mehr.
Zweimal am Tag brachte der Koch einen dampfenden Topf mit einer undefinierbaren Speise zu ihnen hinunter, dazu drei Löffel. Das Essen war mehr oder weniger genießbar, auch wenn weder Geschmack noch Konsistenz irgendwelche Schlüsse darauf zuließen, um was es sich da handelte. Tony und seine Kameraden verbrachten Stunden damit, über das Rezept zu rätseln und erfanden die wildesten Geschichten. Es kam so weit, dass
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