SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
Tatsache.
Havering fasste bereits wieder einen Plan. «Jedenfalls kommen wir nicht mehr ohne Wache aus, wie es scheint. Am besten setzt sich derjenige jeweils draußen auf dem Korridor auf einen Stuhl. Niemand kann sich nähern, ohne dass man ihn sieht. Der Korridor ist lang genug und in der Nähe der Tür zu unserer Kammer ausreichend beleuchtet.»
Tony seufzte. «Einverstanden. Fest steht, dass wir einen Feind an Bord haben. Aber woher in Gottes Namen weiß der von uns? Nicht mal in diesem Drecksloch sind wir sicher.» Er setzte sich auf seine Pritsche und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
9
Die Tage und Nächte nach dem Angriff verliefen ruhig. Tony, Vince und Havering schufteten mit Farbe und borstigen Pinseln, um auf andere Gedanken zu kommen. Havering schien es etwas besser zu gehen.
Was auch immer ihn geplagt hat, er scheint es bald überwunden zu haben.
Sie gingen nirgendwohin im Rumpf des Schiffes ohne ein Stahlrohr oder sonst eine behelfsmäßige Waffe, und sie hielten stets die Augen offen nach verdächtigen Personen oder Beschattungen, konnten aber nichts entdecken. Sie waren ganz froh über die Beschäftigung, ein Zwang zum Stillsitzen und Nichtstun im Bauch des stählernen Ungetüms hätte sie wohl den Verstand gekostet. Abends sanken sie erschöpft auf ihre schmutzigen Pritschen und fielen in einen unruhigen Schlaf. Eines Nachts träumte Tony von einem hohen Turm, dessen Stockwerke im Innern ständig zusammenbrachen. Er wollte sich nach oben arbeiten, er musste nach oben gelangen, aber er kam einfach nicht weiter. Jedes Mal wenn er eine Treppe erklommen hatte, veränderte sich der Raum, und er musste wieder vorn anfangen. Wirre Gestalten erteilten ihm Ratschläge, und völlig aus dem Zusammenhang gerissene Welten tauchten auf. Der Turm stand in Nordafrika, eine Tatsache, aus der sich Tony keinen Reim machen konnte. Er war nie in Afrika gewesen. Ihm war schwindlig. Als er schweißgebadet aufwachte, starrte er auf die Gaslampe, welche dem Tischblatt entlang scharrend von links nach rechts und zurück glitt. Der ganze Raum ging von links nach rechts und zurück, wie es ihm schien, der Stahl ächzte und die Eingeweide des Ozeanriesen machten den Eindruck, als würden sie demnächst zermalmt und ausgespien.
Tony war speiübel.
Ein Krachen zu seiner Linken schreckte ihn auf. Havering war aus seinem Feldbett gefallen und stöhnte. Er stand auf und musste sich festhalten, um zur Tür zu gelangen.
Tony folgte ihm.
Draußen donnerte und wummerte es wie in einem Vorhof zur Hölle. Vince, der Wache gehalten hatte, stand an die Wand gelehnt und hielt sich am Geländer fest.
Der Schiffskoch tauchte unvermittelt in Sichtweite auf. «Schwerer Seegang, zurück in die Koje mit euch! Viel zu gefährlich! Befehl vom Captain!» Er machte rechtsumkehrt und rannte wieder davon, so schnell es die ständigen Schwankungen des Bodens gestatteten.
Tony ignorierte seine Anweisungen und stolperte aus dem Schlafzimmer. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er ewig Karussel gefahren, und zwar im Hochgeschwindigkeits-Modus. Sein Magen, seine Beine, alles schien zu schweben, sich zu heben und zu senken, sich zu drehen und zu winden. Meine erste Fahrt zur See und gleich ein schwerer Sturm! Das hat mir gerade noch gefehlt.
Das Schiff bewegte sich nicht nur unstet hin und her, sondern auch vor und zurück. Die Motoren ließen den Rumpf beben, und der unregelmäßig abgehackte Lärm der Maschinen trug das Seine zu Tonys Unwohlsein bei. Die Gänge des Schiffes verzogen sich vor seinen Augen in die Länge, er hechtete vorwärts, Panik befiehl ihn, Schatten jagten ihn, kalter Schweiß trat auf seine Stirn, er hetzte und angelte sich an den Geländern der Korridore vorwärts.
Ich muss hier raus. Ich muss hier raus. An die Luft. Ich ersticke. Wir werden alle untergehen mit diesem alten Stück Schrott. Hilfe! So hilf mir doch jemand! Die Wände erdrücken mich. Ich krieg keine Luft!
Tony torkelte weiter und konnte oben kaum noch von unten unterscheiden, geschweige denn links von rechts. Er japste und keuchte. Jemand rief seinen Namen durch die dunklen Gänge. Tony war überzeugt, es sei ein unheilvolles Wesen, dunkle Dämonen aus den Tiefen der See, Ertrunkene, die ihn zu sich hinunterziehen wollten. Es klang wie in Sirren in seinem Ohr, ein lästiger dumpfer Brei von Dröhnen und Singen und Lauten. Er spürte Nässe an seinen nackten Füssen. Die tödliche Flut. Sie stieg schnell. Es gab ein
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