SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
Stahlungeheuers mulmiger im Bauch. Die Aussicht auf zehn Tage ohne Sonne und frische Luft schnitt ihm den Atem ab.
«Alles klar, Sir!» Vince quittierte den Befehl des Kapitäns und brummelte etwas in seinen Fünftagebart. Havering schwieg eisern. Auch er schien sich nicht sonderlich auf die Reise zu freuen.
Der Schiffskommandant führte die drei blinden Passagiere weitere fünf Minuten durch spärlich beleuchtete Stahlkorridore, über unzählige Treppen und zwei Lagerhallen voller Holzkisten so groß wie Autos. Immer weiter hinunter in die schimmeligen Eingeweide des Kolosses lief der Weg. Es stank abwechselnd nach Diesel, Seetang, Chlor und verdorbenem Gemüse. Endlich stoppte der Kapitän vor einer massiven Tür, die mit einem Drehgriff versehen war, wie ihn Tony aus U-Boot-Filmen kannte.
«Da drin findet ihr ein paar Pritschen, Decken, Tabak, Zigarettenpapier und Brot. Der Koch bringt euch später was Warmes zu essen und frisches Wasser. Das Klo ist da hinten. Aber schaut zu, dass ihr nicht zu lange drauf verweilt! Hahahaaa! ’Ne warme Dusche gibt’s erst wieder in den Staaten, Freunde. Ach ja, und nochwas: Macht euch nützlich, solange ihr an Bord seid! Ein ganzer Haufen rostige Wände warten auf einen frischen Anstrich. Ich werd morgen früh noch mal vorbeischauen und euch zeigen, wo ihr Kübel und Werkzeug findet. Bonne nuit, messieurs!»
Er hob die Kapitänsmütze von seinem Kopf, verneigte sich spöttisch und stampfte davon in die Dunkelheit des nächsten Korridors.
«Na dann! Hoffen wir mal, dass der Kahn nicht untergeht unterwegs. Ich hab nämlich keine Ahnung mehr, wie wir an Deck kommen. Eine schöne Kreuzfahrt wird das!» Havering blickte den anderen beiden in die Augen und lachte.
Tony schmunzelte. Trotz all dem Gestank und feuchter Dunkelheit keimte ein wenig frischer Mut in ihm.
7
Takeda lehnte sich in seinem Sessel zurück. Der Flug war ruppig. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher mit dem Wodka auf Eis.
Nach einem zweitägigen Aufenthalt in Paris war er endlich unterwegs nach New York. Von Marseille aus hatte es nur einen Flug gegeben pro Woche, da hätte er noch länger warten müssen. Also war er nach Paris geflogen. Aber auch sämtliche Flüge Paris-New York waren ausgebucht gewesen und hatten ihn zum Ausharren am Aéroport Charles De Gaulle gezwungen.
Takeda hatte sich die Zeit im Flughafenhotel mit Recherchen vertrieben. Viel weiter war er nicht gekommen. Er blickte nach links durch das ovale Flugzeugfenster in die Schwärze der Nacht.
Dort weit unten sind jetzt wohl Tony und die anderen unterwegs. Hoffentlich kommen sie heil an. Ganz okay die Typen! Und nicht untalentiert. Ich kann weiterhin etwas Unterstützung gebrauchen.
Die Flugbegleiterin stellte das Abendessen vor ihn hin. Er beschloss, sich eine Denkpause zu gönnen. Er setzte sich die unbequemen Flugzeug-Billigkopfhörer auf und schaltete das Display oberhalb des Esstischchens ein. Es liefen die Abend-News eines US-amerikanischen Nachrichtensenders . Takeda verfolgte die Nachrichten ohne starkes Interesse, während er ein viel zu heisses Hühnerbrüstchen mit Reis in einer faden Tomatensauce verschlang.
Sportnachrichten. Schnitt. Ein animierter Überblender.
Die Skyline von New York war für ein paar Sekunden zu sehen. Dann kam ein Konferenzraum ins Bild. Ein Mann in Anzug, begleitet von mehreren uniformierten Polizisten, betrat die Szene. Er schritt zum Mikrophon und setzte sich. Die Off-Stimme berichtete von einem Doppelmord, bisher keine Spur von den Tätern. Das Textfeld am unteren Rand des Displays, weiße Schrift auf rotem Grund, meldete: «Doppelmord an PhyCorp-Managern – Drogenkrieg?»
Takeda riss die Augen auf und setzte sich aufrecht hin. Er lauschte angestrengt. Der Mann im Anzug auf dem Display vor ihm, offenbar ein New Yorker Ermittler, berichtete von den neusten Erkenntnissen im Fall «El Chomo». Zwei hochrangige Manager des privaten Militär- und Sicherheitskonzerns waren vor drei Tagen in einem Hinterhof in Queens aufgefunden worden. Auf bestialische Weise umgebracht, mit eingeritzten Schriftzeichen auf den Brustbeinen. Die Handschrift eines mexikanischen Drogenkartells.
Was haben wir denn da? Da ist wahrscheinlich ein Deal schiefgelaufen. Scheint nicht die Sternstunde der Phy zu sein.
Takeda lehnte sich in seinem Sessel zurück und strich sich über seinen Kinnbart.
8
Tony hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Seit fünf Tagen plackten und schufteten er und seine
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