Summer Sisters
sie ein Foto von ihr? Wussten sie, dass sie schwarz war? Denn dann wäre es nicht schwer, sie hier zu finden. Soweit sie sehen konnte, war sie die einzige Nichtweiße im ganzen Flughafen.
Gab es überhaupt Schwarze in Wyoming?
Ihre Schwester war schon so oft allein durch die Welt geflogen, dass Ama eigentlich keine so große Sache daraus machen sollte. Esi war mit dreizehn zur Internationalen Mathematik-Olympiade nach Peking geflogen. Sie hatte mit fünfzehn an Mathematik-Wettbewerben in Berlin und Kasachstan teilgenommen und mit sechzehn war sie zu Hause ausgezogen und wohnte seitdem im Studentenwohnheim von Princeton.
Plötzlich bekam Ama Panik, weil sie wusste, dass die Reiseleiter gleich als Erstes die Ausrüstung überprüfen würden. Was wohl mit den Sachen aus ihrem Rucksack passieren würde?
»Ama? Bist du Ama Botsio?«
Neben ihr stand ein gut aussehender Typ um die zwanzig, der ein T-Shirt mit »Ab in die Wildnis!«-Aufdruck trug. Eine Pilotenbrille baumelte an einem Band von seinem Hals.
»Ja.« Ama verschluckte sich fast an dem Wort.
Als er ihr zur Begrüßung die Hand schüttelte, fühlte es sich an, als würden ihre Knochen zermalmt werden. Sie überstand ja nicht mal einen kräftigen Händedruck - wie sollte sie jemals auf Felsen klettern?
»Freut mich. Ich bin Jared, einer der Tour-Betreuer.«
»Freut mich auch«, murmelte sie und bewegte vorsichtig ihre Finger, um zu prüfen, ob sie noch heil waren.
»Dein Flug war der letzte.« Er führte sie in Richtung Ausgang. »Die anderen warten schon draußen auf dem Parkplatz.«
Eigentlich hätte er merken müssen, wie sie unter dem Gewicht ihrer Ausrüstung wankte, und ihr seine Hilfe anbieten sollen, aber das machte er nicht. Er lief mit schnellen Schritten voraus und trug nichts weiter als ein Klemmbrett.
Mich bringt ja schon der Weg durch den Flughafen um, dachte Ama kläglich und hatte Mühe, mit Jared Schritt zu halten.
Draußen auf dem fast leeren Parkplatz drängelte sich ein Haufen Jugendlicher um einen langen Klapptisch vor einem Bus. Es war kein schicker Bus mit Klimaanlage, getönten Scheiben, Polstersesseln und Videobeamer, sondern ein alter gelber Schulbus.
Ama schwitzte unter der Last ihres Rucksacks. Sie hätte gern schnell überprüft, ob ihre Haare richtig saßen, bevor sie allen diesen Leuten gegenübertrat, aber diese Blöße wollte sie sich nicht geben.
Schon immer hatte Ama gedacht, dass ihre Haare eine Art Dr.-Jekyll-und-Mr-Hyde-Eigenleben führten. Wenn alle Voraussetzungen stimmten - wenn sie die richtige Spülung benutzt, sie dann mit dem Glätteisen bearbeitet hatte und die Luft nicht zu feucht war -, sahen sie toll aus. Dann fielen sie in sanften Wellen wie ein weicher, glänzender Vorhang herab und sogar ihre Schwester beneidete sie darum. Wenn ihre Haare gut aussahen, dann mochte Ama eigentlich alles an sich. Aber wenn sie nicht richtig gepflegt und geglättet waren und die Luftfeuchtigkeit nicht ideal war, bauschten sie sich zu einem wahren Afro-Helm auf. Und wenn ihre Haare hässlich waren, dann fand sich Ama rundherum hässlich. Es war zwar nicht so,
als hätte sie dann plötzlich kleinere Augen, einen dicken Hals oder abstehende Ohren, aber genau so fühlte es sich an.
Sie beäugte die Gruppe und registrierte, dass sie fast nur aus Weißen bestand. Eine Asiatin war dabei, aber deren Haare würden sich sicherlich niemals kräuseln. Und ein Mädchen, dass wie eine Latina aussah. Niemand außer Ama war schwarz. Oder afroamerikanisch, wie ihre Lehrer immer sagten. Sie hatte in der zweiten Klasse einmal zu ihrer Lehrerin gesagt: »Ich komme zwar aus Afrika, aber jetzt bin ich Amerikanerin.« Damals hatte sie noch nicht gewusst, das Lehrer lieber afroamerikanisch sagten statt schwarz.
Oh nein! Hatte man sie etwa deshalb hierher geschickt? Weil in jeder Gruppe immer mindestens eine schwarze - äh, afroamerikanische - Jugendliche dabei sein musste, um irgendeine Quote zu erfüllen? Hatte sich deshalb keiner dafür interessiert, dass sie Wandern hasste und viel lieber in einer Bibliothek saß? Dass diese Tour überhaupt nicht zu ihr passte und sie nicht zu dieser Tour?
Wahrscheinlich brauchten sie eine Schwarze für die Fotos auf ihrer Website.
Jared klatschte so laut in die Hände, dass Ama einen Satz zur Seite machte und ihr Rucksack ins Rutschen geriet. Plötzlich starrten alle sie an.
»Das ist Ama Botsio, sie kommt aus der Nähe von Washington. Jetzt ist unsere Gruppe also komplett - ihr vierzehn und wir
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