Summer Sisters
ließ.
Merkwürdig, dachte sie, als sie an der Wohnzimmertür stehen blieb. Das Haus hatte sich irgendwie verändert. Es war nicht wie sonst immer auf Hochglanz geputzt, alles war ein bisschen unordentlicher und es brannten weniger Lampen. Die Kissen waren nicht aufgeschüttelt und die Veilchen auf dem Fensterbrett ließen die Köpfe hängen. Aber das war es nicht, was die Veränderung ausmachte.
Ihr Blick fiel auf die Fenster. Sie standen weit offen. Trotzdem war es nicht unangenehm heiß im Haus - im Gegenteil, die Abendluft war schön und klar und erfüllte den Raum mit einer Ahnung von der feuchten Hitze des Spätsommers und dem Duft von reifen Früchten.
Das war der große Unterschied. Die Klimaanlage war abgeschaltet und die warme Nacht hatte das Haus erobert, in das sie sonst nie Einlass bekommen hatte. Jos Mutter achtete fast panisch darauf, dass sich die Luft von draußen nicht mit der Raumluft vermischte.
Jo ließ den Blick durch Wohn- und Esszimmer schweifen. Sie hatte damit gerechnet, dass das Haus verlassen und abweisend
wirken würde, aber es sah auf eine ganz neue Art bewohnt aus. Über den Esstisch waren die Zeitungen und medizinischen Fachzeitschriften ihres Vaters verstreut, seine Schuhe standen auf dem Boden, auf der Sofalehne lag ein aufgeschlagenes Buch. Überall standen benutzte Kaffeebecher und Gläser herum - ohne Untersetzer darunter.
Ihre Mutter würde einen Nervenzusammenbruch bekommen.
Jo ging in die Küche. Der Herd war an, und auf einer der Platten stand ein Topf, der aber, soweit sie sehen konnte, noch leer war. Hoffentlich fackelte ihr Vater nicht das Haus ab. Fast jede Schublade und Schranktür stand offen, und die Küche sah völlig anders aus, als wenn ihre Mutter kochte.
»Was gibt’s denn?«, fragte sie.
»Tacos«, antwortete er fröhlich.
»Wow. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst.«
»Ich hab in den letzten Wochen ziemlich oft gekocht, weißt du?« Ihr Vater richtete sich auf und schloss den Unterschrank, in dem er etwas gesucht hatte. Er sah so stolz aus, dass es ihr fast das Herz brach.
Er goss Olivenöl in den heißen Topf, das sofort wild zu zischen begann. Qualm stieg auf und er zog den Topf schnell von der Platte.
»Hoppla. Das war wohl etwas zu heiß!«
»Soll ich dir helfen?«, fragte Jo, um ihren Schrecken zu überspielen.
Er drehte das Gas etwas runter. »Du kannst schon mal den Käse reiben«, schlug er vor.
»Okay.«
Während Jo Berge von Käse rieb, öffnete ihr Vater mehrere Dosen mit passierten Tomaten und Bohnen und gab alles in den Topf.
»Du glaubst vielleicht, ich würde mich in der Küche nicht auskennen«, er versuchte das Etikett einer Gewürzdose zu entziffern, »aber immerhin hab ich früher jeden Dienstag und Freitag, wenn eure Mutter bei der Arbeit war, für dich und Finn gekocht.«
Es traf Jo unerwartet, dass ihr Vater Finns Namen so beiläufig und selbstverständlich aussprach, als streue er ihn zusammen mit dem Cayennepfeffer und dem Paprikapulver in die Soße, aber es war auch unendlich befreiend. Im Beisein ihrer Mutter hatte man den Namen ihres Bruders nicht mehr erwähnen dürfen, und wenn man es doch einmal getan hatte, war sie in sich zusammengesunken und hatte wortlos den Raum verlassen. Irgendwann hatten sie dann überhaupt nicht mehr über Finn gesprochen. Dabei hätte Jo so gern über ihren Bruder geredet. Es mussten keine Lobeshymnen auf ihn sein und man musste dabei auch nicht vor Trauer in Tränen ausbrechen; sie wollte einfach nur, dass man sich an ihn erinnerte und daran, dass er ein wichtiger Teil der Familie gewesen war.
»Echt?«
»Ja. Natürlich nicht so aufwendige Sachen wie Tacos«, fuhr ihr Vater fort. »Aber ich hab oft Huhn mit Reis gekocht und einmal gab es sogar Hackbraten.«
»Ehrlich?«
»Ja. Kannst du dich denn gar nicht mehr daran erinnern?«
Es machte sie traurig, etwas so Wichtiges vollkommen vergessen zu haben. »Doch, ich glaub, ich erinnere mich. Ein bisschen.«
»Aber am allerliebsten mochtet ihr Erbsen. Ihr hättet am liebsten jeden Tag welche gegessen.«
»Vor allem Finn«, sagte Jo.
Ihr Vater nickte. »Er war verrückt danach.«
»Ich esse auch heute noch gern Erbsen.«
»Ja? Das haben wir gleich.« Mit einem Satz war er beim Gefrierschrank und holte ein Paket Tiefkühlerbsen heraus. »Tataaaa!«
Jo lachte. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal gelacht hatte.
»Ich bin fertig mit dem Käse. Was soll ich jetzt machen?«
Besorgt betrachtete sie den seltsamen Brei, der in
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