Summer Sisters
dem Topf blubberte, und die verdreckte Arbeitsfläche, die von Gewürzgläsern, Eierschalen und leeren Konservendosen übersät war. Hoffentlich schmeckten die Tacos. Aus irgendeinem Grund war es unendlich wichtig, dass ihm das Essen gelang.
Er legte ein Schneidebrett und eine Avocado vor sie hin und gab ihr ein Küchenmesser. Als sie sah, dass es eines der guten, scharfen Messer war, fühlte sie sich auf eine seltsame Art geschmeichelt.
Eine Weile arbeiteten sie in einvernehmlichem Schweigen vor sich hin.
»Es ist schön, zu zweit zu kochen«, sagte ihr Vater irgendwann.
Sie nickte. Wahrscheinlich war er in der letzten Zeit genauso allein gewesen wie sie. Und wahrscheinlich hatte er seine Freiheit ebenso wenig genießen können wie sie.
Sonst achtete Jo immer darauf, dass sich die unterschiedlichen Bestandteile einer Mahlzeit auf ihrem Teller nicht vermischten, aber bei dem Essen ihres Vaters war das unmöglich. Die Salsa vereinte sich mit der Sour Cream und lief über die Tortilla, die wiederum von Guacamole verschmiert halb in einem Häufchen Bohnenmus versank - überzogen war das Ganze mit einer Kruste aus geschmolzenem Käse.
Ihr Vater hob sein Bierglas und stieß damit klirrend gegen ihres, das mit Milch gefüllt war.
Als er ihr die Milch eingeschenkt hatte, hätte sie ihn fast ausgelacht und gefragt, ob er sie für ein Kleinkind hielt. Jetzt war sie froh, dass sie nichts gesagt hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals etwas Köstlicheres getrunken zu haben.
»Zum Wohl«, sagte er.
»Zum Wohl.« Sie hätte gern mehr gesagt, wusste aber nicht, was.
»Na, dann hau rein.«
Sie holte tief Luft und haute dann tatsächlich rein: heiße Tortilla und kühle Sourcream, knuspriger Taco und geschmeidig-glatte Guacamole... Die erste Gabel voll kostete sie noch vorsichtig, die nächste schon mit wachsendem Genuss und die dritte tauchte sie tief in die pikante Salsa. Über allem schwebte ein köstlicher Duft, und ihr war, als würde sie nur noch riechen und schmecken können, während alle anderen Sinne abgeschaltet waren. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie so hungrig gewesen.
Sie aß und aß, nahm Guacamole nach und noch ein Taco, streute extra Käse darüber und übergoss alles mit der Salsa. Sie aß so gierig, dass ihr kaum Zeit blieb, aufzuschauen oder zwischen zwei Bissen etwas zu sagen. Irgendwann hielt sie inne und sah ihren Vater an.
»Deine Tacos sind die besten.«
Und das war die reine Wahrheit.
Sie aß, bis ihr Magen voll und die Schüsseln leer waren. Aber sie konnte noch nicht aufhören.
»Ist noch mehr da?«
»Ja. Reichlich. In der Küche ist noch ganz viel«, sagte ihr Vater erfreut, stand auf und kam mit ihrem randvoll gefüllten Teller zurück.
Er setzte sich wieder an den Tisch und nahm seine Brille ab.
»Jo?«, sagte er und sah ihr in die Augen.
»Ja?«
»Ich freu mich sehr, dass du nach Hause gekommen bist.«
Am Anfang ihrer Diät hatte Polly sich immer ein bisschen beschummelt und voller Stolz großzügig ein wenig aufgerundet. Wenn die Waage sagte, sie hätte 2,6 Kilo abgenommen, hatte sie drei draus gemacht.
Aber mittlerweile hatte sie schon mehr abgenommen als geplant, weshalb sie jetzt in die andere Richtung schummelte. Eigentlich hatte sie 6,8 Kilo abgenommen, aber sie redete sich ein, es wären nur sechs.
Sie ging jetzt auch nicht mehr als Erstes auf die Toilette, bevor sie auf die Waage stieg, sondern trank vorher ein großes Glas Wasser und aß eine Kleinigkeit. Sie wollte noch nicht aufhören müssen.
Ich werde kleiner, dachte sie, als sie merkte, dass sie in ihrer weiten roten Hose inzwischen fast versank. Bisher war sie aus ihren Sachen immer herausgewachsen, aber jetzt waren ihr fast alle ihre Sachen zu groß und zu weit geworden - es war fast, als hätte sie die Uhr zurückgedreht.
Diese Vorstellung empfand sie als merkwürdig tröstlich. Es machte ihr viel weniger Angst, sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen, als in eine ungewisse Zukunft zu gehen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, die nächste Jeans in einer kleineren Größe zu kaufen. Sogar ihre Brüste waren endlich kleiner geworden, und sie hatte aus ihrer Kommode ihren allerersten BH rausgekramt, den sie in der Sechsten bekommen hatte. Er passte ihr wieder.
Vielleicht werde ich ja wirklich Model, dachte sie und zitterte ein bisschen, obwohl warmes Sonnenlicht durchs Badezimmerfenster strömte. Ihre Arme, die aus den T-Shirt-Ärmeln
heraussahen, waren so bleich, dass die
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