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Summer Sisters

Titel: Summer Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Brashares Nina Schindler
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sich mittlerweile mit Wurzeln und Insekten bestens aus. Vor der Wanderung hatte sie in der Schule, in der Bibliothek oder zu Hause an ihrem Schreibtisch gesessen und in Bücher geschaut. Aber hoch in den Himmel hatte sie eigentlich nie geschaut.
    Sie erinnerte sich an früher, als sie mit Jo und Polly an lauen Sommerabenden in Jos Garten auf dem Rasen gelegen und zu den Sternen hochgeblickt hatte. Damals war ihnen die Welt viel größer und verheißungsvoller erschienen, als gäbe es unendlich viele Möglichkeiten und Richtungen, in die man sich entwickeln konnte.
    »Bist du bereit?«, fragte Jared.
    »Ich glaub schon«, flüsterte sie.
    Wie schaffte man es bloß über diese Kante? Bei allen anderen hatte es so leicht ausgesehen, dass sie nicht mal gemerkt hatte, wie sie es genau gemacht hatten. Sie ging auf alle viere und kroch rückwärts. Dabei rutschte ihr der Helm über die Augen. Warum musste bei ihr immer alles schiefgehen? Konnte nicht ein Mal in ihrem Leben etwas einfach so klappen?
    »Stand!«, gab Maureen das Kommando, das den Abstieg einleitete.
    »Seil ein!«, erwiderte Ama mit erstickter Stimme und schob ein Knie über die Kante. Ihr Fuß ertastete nichts als Luft. Sie warf einen Blick nach unten. Oh Gott! Die anderen aus ihrer Gruppe sahen aus wie winzige Spielzeugfiguren. Sie meinte, Noah ausmachen zu können, der ihr zuwinkte. Das waren doch niemals nur hundertzwanzig Meter, sondern mindestens fünfhundert! Wer hatte das denn gemessen? Das hat absolut nichts mit dem Pony Hill zu tun!, hätte sie gern Polly gesagt.
    Ihr Fuß schwebte frei in der Luft. Sie schob ihr zweites Knie
über die Kante. Jetzt schwebten beide Füße im Nichts. Es gab kein Zurück mehr.
    Jared bückte sich und rückte ihren Helm zurecht, dann nahm er ihre Hände in seine. Merkte er denn nicht, dass sie klatschnass waren? Wieder lächelte er ihr zu.
    »Du bist viel mutiger als Jonathan.«
    Ama kniff die Augen zusammen, weil die Sonne sie blendete. »Machst du Witze?«
    »Mut bedeutet, dass man seine Angst überwindet. Jonathan hatte keine Angst, aber du hast große Angst.«
    »Ich habe große Angst«, wiederholte sie, denn genau so war es. Sie schlotterte vor Angst. Wem wollte sie hier etwas vormachen?
    Er hielt ihre beiden Hände fest, während sie rückwärts über die Kante rutschte. Jetzt spürten ihre Füße wenigstens Widerstand am Felsen.
    »Okay, du musst dich jetzt zurücklehnen«, instruierte Jared sie.
    »Nein... das kann ich nicht... Muss ich wirklich?«
    »Ja.«
    Sie schloss die Augen und lehnte sich etwas zurück. »So?«
    »Ja!«
    »Lass mich nicht los!«, schrie sie. Hier an der Felskante wehte der Wind stärker. Sie fühlte sich, als würde sie frei hin und her schwingen.
    »Schon gut, ich hab dich. Ich lass nicht los.«
    Ama sah wieder nach unten. Ihr Herz hämmerte so stark, dass es sie nicht gewundert hätte, wenn es aus ihrem Körper in den Himmel geflogen wäre.
    »Weiter«, sagte Jared.
    »Okay.« Sie rutschte noch einen Millimeter weiter.
    »Vertrau auf das Seil.«

    Ein weiterer Windstoß erfasste sie, und sie umklammerte Jareds Hände so fest, dass er vor Schmerz das Gesicht verzog.
    »Ich schätze mal, dass ich mir hinterher sämtliche Finger amputieren lassen muss.« Er lächelte schief.
    »Tut mir leid«, murmelte sie.
    Sie dachte daran, wie sich ihre Finger bei seinem festen Händedruck am ersten Tag am Flughafen angefühlt hatten, und versuchte ihren mörderischen Griff etwas zu lockern.
    Als sie die Felswand vor sich sah, musste sie aus irgendeinem Grund an den ersten Tag in der dritten Klasse denken. Der Tag, an dem Jo, Polly und sie sich kennengelernt hatten und aus der Schule ausgerissen waren. Sie wusste noch ganz genau, wie sie in der Schultür gestanden und sich gewünscht hatte, sie könnte einfach umkehren und im Schulgebäude bleiben. Aber der Wunsch, mit den beiden mitzugehen, war noch viel stärker gewesen. Du kannst es , hatte Jo gesagt. Und sie hatte es wirklich gekonnt. Das war der bis dahin aufregendste Tag ihres Lebens gewesen - und der Beginn des bisher allergrößten Abenteuers.
    Ama sah wieder zu den winzigen Gestalten in der Tiefe hinunter. Du kannst es , sagte sie sich und vermisste Jo und Polly und die Ama, die sie früher einmal gewesen war. Und falls nicht, stirbst du eben, aber das ist dann auch egal.
    Sie holte noch einmal tief Luft - dann ließ sie los. Sie hatte erwartet, es würde ihr letzter Atemzug sein. Sie hatte geglaubt, dass sie wie ein nasser Sack in die Tiefe

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