Summer Westin: Todesruf (German Edition)
beugte sich vor. »Sagt Ihnen der Name Frieda Frazier irgendwas? Oder haben Sie schon mal von der Organisation Justice for Veterans gehört?«
»Nein. Aber Allie hatte jede Menge Computerfreunde, und sie hat versucht, vom Veteranenamt mehr für mich rauszuschlagen.« Er selbst hatte das schon vor zehn Jahren aufgegeben und Freundschaft vor allem mit Jim Beam und Jack Daniel’s geschlossen.
Choi schaltete den Tintenstrahldrucker ein und druckte zwei E-Mails aus.
»Haben Sie Beweise für Jacks Schuld gefunden?«, fragte Ernest. Das Schwein, das für den Tod seiner Tochter verantwortlich war, sollte dafür bezahlen.
»Nein, nicht direkt.« Choi griff nach den Ausdrucken. »Das hier ist eine Nachricht an diese Frieda Frazier, abgeschickt vor fünf Monaten. Es geht um Materialbeschaffung – wahrscheinlich das C4. Die zweite ist vom 22. Juli. Ein Probelauf sollte durchgeführt werden.«
»Vom 22. Juli?«
Choi nickte. »23:32 Uhr.«
»Du meine Güte.« Ernest fühlte sich, als würde sein Schädel platzen. Er bedeckte mit der linken Hand die Augen.
»Was haben Sie denn, Mr Craig?«
»Ernest«, krächzte er. »Es ist nur …« Er wischte sich Tränen aus dem Gesicht. »An dem Abend ist Allie nach Hause gekommen. So viel ist jetzt sicher. Ich bin wahrscheinlich vor dem Fernseher auf der Couch eingeschlafen gewesen. Großer Gott, sie war hier und ist wieder fort, und ich konnte mich nicht mehr von ihr verabschieden.«
Während der Drucker weiter vor sich hin ratterte, sah Choi sich im Schlafzimmer um. An den Wänden hingen, mit Tesa befestigt, Allies Fotos.
Es waren schöne Aufnahmen. Er hätte Rahmen für sie kaufen sollen, dachte Ernest, um Allie zu zeigen, wie stolz er auf ihre Arbeiten war. In den Regalen standen Trophäen, die sie auf der Junior High und der Highschool in Leichtathletikwettbewerben gewonnen hatte. Zwischen zwei Messingstatuen befand sich ein kleiner phosphoreszierender Engel aus dieser Kirche, in die seine Schwester und sein Schwager Allie mitgenommen hatten, bevor sie weggezogen waren.
Erneut schaute er auf das Foto von Allies Highschool-Abschluss. Sie war so schön, die blonden Haare fielen ihr über die Schultern, die blauen Augen strahlten voller Hoffnung. Aufgewachsen war sie unter lauter Leuten, die nichts Besseres zu tun hatten, als ständig über die Regierung herzuziehen – allen voran er selbst. Er dachte an die vielen Male, wo er einfach zugestimmt hatte, um nicht als Außenseiter dazustehen, die vielen Male, wo er alle, die irgendwie mit Behörden zu tun hatten, als Gauner bezeichnet hatte. Und sein Mädchen hatte das verinnerlicht. Deshalb hatte sie ihm auch nichts von ihrem neuen Job erzählt. Dem bestbezahlten, den sie finden konnte. Sie hatte sich zu sehr geschämt. »Ach Allie, ich habe es doch nicht so gemeint. Ich bin immer so stolz auf dich gewesen.«
Letzteres musste er wohl laut ausgesprochen haben, denn Choi blickte ihn verwundert an, drehte sich aber peinlich berührt wieder zum Drucker um.
Ernest traten Tränen in die Augen, Allies Gesicht auf dem Foto verschwamm. Er hatte Rushing Springs immer für das letzte Loch gehalten. Für das Ende der Welt. Ein deprimierender Ort ohne Hoffnung, wo jeder die Schuld für seine Probleme anderen in die Schuhe schob. Jetzt wurde ihm klar, dass es für Allie ihr Zuhause gewesen war. Die einzige Welt, die sie je kennengelernt hatte.
An ihrem letzten Tag beim Park Service stand Sam früh auf, um mit den Leuten des Wegetrupps zu frühstücken und sich dann von ihnen zu verabschieden. Mit Maya hatte sie Adresse und Telefonnummer getauscht. Danach bummelte sie um den Marmot Lake in der Hoffnung, Raider noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Aber abgesehen von den kleinen braunen Vögeln, die ständig um die Bäume schwirrten, entdeckte sie nur ein Kaninchen, das sofort in den Büschen verschwand, und ein Brautentenpärchen, das majestätisch über das ruhige Gewässer schipperte. Sie sah nach den verunstalteten Erlen und fuhr mit den Fingern die Zahlen nach, die in ihre Rinde eingeschnitzt worden waren. Nur ungern ging sie weg, ohne dieses Rätsel gelöst zu haben. Als Nächstes fuhr sie zu Garrett Fords Haus. Er rollte gerade die Mülltonne auf den Bürgersteig und streckte ihr den Mittelfinger entgegen, als er sie bemerkte. Sie hatte nichts anderes erwartet. Er schaute sich kurz um, ob jemand in der Nähe war, dann fuhr er sich theatralisch mit der Hand quer über den Hals, als würde er ihr die Kehle aufschlitzen, und deutete dann
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