Summer Westin: Todesruf (German Edition)
ein Lagerfeuer. Wir rösten Marshmallows und erzählen Geschichten. Sie hätten sich dazusetzen sollen.«
Ben Rosen verdrehte die Augen.
»Klingt gut«, sagte Sam. Tom Blackstock pflegte einen netten Umgang mit den Jugendlichen, und die Gruppe bot den meisten vermutlich mehr an Familie, als sie das von zu Hause kannten. »Nächstes Mal komme ich gern. Sind S’mores auch erlaubt?«
Blackstock zwinkerte. »Aber klar doch. Sie bringen die Schokolade und die Cracker mit.«
»Mache ich«, versprach sie. »Haben Sie was über Lisa gehört? Ich habe gerade im Krankenhaus angerufen, aber man wollte mir nichts sagen.«
Blackstocks markante Gesichtszüge nahmen einen grimmigen Ausdruck an. »Ich habe so um zwei rum mit Peter Hoyle gesprochen. Er sagte, Lisa sei fast den ganzen Tag völlig weggetreten gewesen.«
»Tut mir leid, das zu hören. Aber vielleicht ist Schlaf genau das, was sie gerade braucht.«
Aus Blackstocks Äußerung ließ sich nicht erkennen, ob er eher Tiefschlaf oder Bewusstlosigkeit gemeint hatte. Sam nahm sich vor, das Pflegepersonal am nächsten Tag danach zu fragen.
»Könnten wir uns mal einen Moment ungestört unterhalten?«, fragte sie.
Er sah sie durchdringend an. »In einer halben Stunde in meinem Pick-up.«
Das klang wie eine Einladung zu einem erotischen Treffen. Doch dann wurde Sam klar, dass das Innere eines Wagens der einzige Ort war, wo man unter vier Augen reden konnte. Entweder im Wagen oder im Wald. Sie nickte und warf einen Blick auf ihre Uhr.
Blackstock drehte sich zu den Jungen um und scheuchte sie den Gang hinunter. »Ab ins Badezimmer, Jungs, damit die Damen es benutzen können, sobald Ranger Westin ausgepackt hat.«
»Nennt mich Sam«, rief sie ihnen hinterher. Und ich bin kein Ranger, fügte ihr Gewissen hinzu.
»Okay, dann nennt ihr sie Sam. Aber jetzt los. Morgen ist ein langer Tag.«
»Es gibt nur ein Badezimmer?«, wandte Sam sich an Maya.
Die Rothaarige zuckte mit den Schultern. »Keine Bange. Queso sorgt dafür, dass sie sauber machen, damit es nicht allzu eklig ist. Außerdem hängt an der Tür ein Schild, das man umdrehen kann, damit sie nicht reinkommen, wenn wir drin sind.«
Zum Auspacken reichten Sam zwei Minuten. Sie hängte ihre Ersatzuniform auf, legte ihren Matchbeutel auf das obere Bett und das T-Shirt, in dem sie immer schlief, auf das untere, zusammen mit einer Stirnlampe und dem Krimi, den sie gerade las.
Die Unterkunft war dunkel, und Maya schnarchte bereits leise, als Sam ihre Jacke anzog und hinaus zu Blackstocks Pick-up ging. Die Nacht war kalt, kaum mehr als zehn Grad, aber die Königslaubfrösche quakten trotzdem. Am Himmel, soweit sie ihn zwischen den Tannenspitzen sehen konnte, glitzerten Sterne.
In der Kabine des Pick-up war es fast genauso kalt wie draußen. Die Windschutzscheibe lief bereits an, und Sam wand sich innerlich bei dem Gedanken, wie dieses Treffen auf Außenstehende wirken musste. Sie wünschte, es wäre Chase, mit dem sie sich an diesem herrlichen Abend traf.
Blackstock hielt ihr eine Whiskeyflasche und einen Pappbecher hin. »Auch einen?«
»Einen kleinen Schluck.« Whiskey war nicht ihr Getränk. Er schmeckte so eklig, wie sie ihn in Erinnerung hatte, wie Wundbenzin, aber sie genoss es, wie er ihr warm die Kehle hinunterlief.
»Sind Sie aus der Gegend hier, Tom?« Vielleicht wusste er, warum die Einheimischen sie so feindlich anstarrten.
»Im Winter wohne ich drüben in der Nähe von Shelton«, erwiderte er. Die Stadt lag an der Ostseite der Olympic Halbinsel. »Aber im Sommer leite ich schon seit Jahren für den Park Service den Wegetrupp. Egal, ob diese Jugendlichen in Schwierigkeiten stecken oder nicht, sie brauchen jemanden, der auf sie aufpasst.«
Er klang, als rechne er mit Widerspruch.
»Die haben Glück, dass sie Sie haben, Tom. Oder soll ich Sie El Queso Grande nennen?«
»Tom reicht.« Er räusperte sich verlegen. »Sie haben Lisa heute Morgen gesehen?«
Sam erzählte ihm von Lisas Behauptung, sie sei entführt worden und man habe sie vergewaltigen wollen. Während sie redete, verwandelte sich Blackstocks Gesichtsausdruck von Schock zu Traurigkeit und schließlich zu Sorge.
»Lisa könnte natürlich halluzinieren«, fügte Sam hinzu. »Der Arzt meinte, das sei möglich.«
»Hoffen wir’s.« Er trank einen Schluck aus seinem Plastikbecher. »Diese Teenager haben auch so schon genug Probleme.«
Sam sah auf die stille Unterkunft. »Können Sie für alle die Hand ins Feuer legen?«
»Das hat Joe Choi
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