Summer Westin: Todesruf (German Edition)
zurückzukehren. Im Moment fühlte sie sich weder stark noch sonderlich erwachsen. Sie wollte heißes Wasser, Abendessen, ein Glas kalten Weißwein. Vielleicht lieber gleich eine ganze Flasche. Aber vor allem wollte sie jemanden zum Reden. Sie ging zur Hintertür hinaus, lehnte sich an die Hauswand und tippte eine Nummer in ihr Handy ein.
»Sieht aus, als gehörten unsere Ablenkungsspezialisten zur rechten Szene.« Chase Perez starrte auf die Plastikhülle in seiner Hand. Darin befand sich ein Ausdruck von einem Tintenstrahldrucker, der übersät war mit Fingerabdruckpulver. Vor ihm auf dem Tisch lag ein fast 30 Zentimeter hoher Stapel mit ähnlichen Seiten, ein Teil dessen, was sie im Wagen der bewaffneten Täter gefunden hatten.
»Wie kommst du darauf?« Nicole sah von ihrem Stapel auf und blickte ihn über ihre Lesebrille hinweg an.
»Council for Conservation of America.« Er wedelte mit dem Blatt hin und her. »Das hier ist ein Artikel über staatliche Geschenke an illegale Einwanderer.«
Nicole legte die handgeschriebene Notiz, die sie gerade zu entziffern versuchte, auf den Tisch. »Du nimmst ihnen das also nicht ab mit den ›gemeinsamen moralischen Werten der wahren Amerikaner‹? Der CCA steht unter Beobachtung. Die sind sehr weit rechts von der Mitte. Ich würde bei denen vielleicht noch als wahre Amerikanerin durchgehen, aber du müsstest vermutlich erst mal deinen Nachnamen ändern.«
Chase überflog den Artikel. »Brauner Eintopf?« Stirnrunzelnd zitierte er: »Wenn man die liberale Elite nicht daran hindert, wird sie aus diesem Land einen zähen, braunen Eintopf machen.«
»Sag ich doch.«
Sein Blick wanderte zu einem anderen Abschnitt auf derselben Seite. »Hör dir mal das hier an: Die Besetzung des Iraks und Afghanistans waren Geldwäschemanöver, ausgeheckt von Juden und Großindustriellen, die die Weltpolitik zu ihren Gunsten manipulieren.«
Nicole setzte ihre Brille ab, stand auf, ging um den Tisch herum und nahm ihm das Blatt aus der Hand. Sie überflog es und schüttelte den Kopf. »Ein Ableger der ZOG. Die sind wie Zombies, nicht wahr? Die sterben nie aus.«
»Wie wahr.« Obwohl es lange vor seiner Zeit beim FBI gewesen war, wusste Chase, dass die Zionist Occupationist Government (ZOG) eine Verschwörergruppe war, unterstützt von Milizen und Bürgerwehren – zumindest bis zu Tymothy McVeighs Anschlag auf das Regierungsgebäude in Oklahoma City. Danach hatten sich die Milizen weitgehend zurückgehalten und waren dadurch nicht mehr so leicht zu identifizieren gewesen. Es gab noch immer genügend Leute, die sich zu dieser Philosophie hingezogen fühlten und gegen angeblich fragwürdige internationale Bankgeschäfte und Nichtweiße hetzten. In den letzten Jahren war die sogenannte Patriotische Bewegung wieder erstarkt. Zombies, genau. Der Typ, der mit seinem Flugzeug in ein Gebäude der Steuerbehörde in Austin geflogen war, und der, der eine Kongressabgeordnete angeschossen hatte, waren zwei der neuesten Zombiehelden.
Chase fiel auf, dass sich auf der Rückseite des Blatts, das Nicole in der Hand hielt, etwas durchgedrückt hatte. »Da ist hinten was drauf.«
Sie drehte das Blatt um. »Sieht aus, als hätte es jemand als Schreibunterlage benutzt.« Sie hielt es schräg gegen das Licht. »Eminen-IO? Eminen-10?« Sie reichte ihm das Blatt.
Das handgeschriebene Wort war gut zu entziffern, abgesehen von den beiden letzten Buchstaben oder Ziffern. E-M-I-N-E-N-I-O oder vielleicht eher E-M-I-N-E-N-T-1–0. »Was könnte das sein?«
Nicole zuckte mit den Schultern. »Die Techniker liefern uns die Ergebnisse zusammen mit dem Fingerabdruckabgleich. Ich habe dafür gesorgt, dass wir bevorzugt drankommen, aber ein bis zwei Tage wird es trotzdem dauern.« Sie deutete auf seinen Stapel und kehrte zu ihrem Platz zurück.
Chase legte das Blatt auf jene Seiten, die von besonderem Interesse schienen. Hätten sie doch bloß die Räuber selbst und nicht nur ihren Ford Explorer erwischt, dann könnten sie jetzt die Kriminellen in die Mangel nehmen, anstatt sich durch diesen ganzen Schund arbeiten zu müssen. Wenigstens hatte die Polizei vor Ort diesmal den Überfall verhindern können, aber irgendwie war es den Tätern gelungen, in den Wald zu entkommen, mitsamt ihren Automatikgewehren.
Plötzlich spürte er etwas an seiner Brust brummen. Er griff in die Tasche seiner Sportjacke und zog sein Handy heraus. Als er Summer Westin auf dem Display sah, fühlte er sich gleich besser. Er drehte seiner
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