Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
ausgestreckten Beinen saß Perez neben ihr und sah schweigend zum Mond und zu den stecknadelkopfgroßen, leuchtenden Punkten, die wie Glasperlen auf schwarzem Samt aufgereiht waren. Hell schien der Mond über die Ebene, schimmerte blau in Perez’ rabenschwarzem Haar. Bartstoppeln überzogen das ebenmäßige Kinn mit dunklen Schatten. Sam war froh, dass es zumindest einen Aspekt an seinem Aussehen gab, an dem er arbeiten musste.
Das Heulen hob wieder an. Der unheimliche Schrei mischte sich darunter, schien aber von einem Ort zu kommen, der näher lag. Sam richtete sich auf und erforschte mit dem Fernglas die umliegenden Hügel. Nichts, nur das Mondlicht auf den Felsen.
Perez erhob sich. »Was glauben Sie, wie weit entfernt er ist?«
Sie legte den Kopf schief und lauschte. »Hört sich an, als käme es von Horseship Mesa. Oberhalb der Ruinen liegt sein üblicher Jagdgrund. Etwa fünf Kilometer von hier. Ein Marsch von anderthalb Stunden bei Tageslicht.« Schon allein wenn sie daran dachte, taten ihr die Füße weh.
»Mist. Der Hubschrauberpilot hat gesagt, wenn es dunkel ist, fliegen sie nicht mehr über den Park. Hat irgendwas mit Spiralwinden in den Schluchten zu tun.«
Sie nickte. »Richtig. Aufwinde, Fallwinde, Thermik.«
»Der Kojoten-Typ könnte etwas über den Verbleib von Zachary Fischer wissen.«
Das Gesicht des Jungen tauchte in ihren Erinnerungen auf, und sie spürte auch den Griff der kleinen, feuchten Finger wieder. Sie schüttelte den Kopf. »Glaub ich kaum. Den Rangern hat er nie Probleme gemacht.«
»Jetzt vergessen Sie mal ihre romantischen Vorstellungen vom nackten Herumspringen im Mondlicht«, sagte Perez. »Halten Sie sich lieber an die Fakten. Zacks Schuh wurde am Powell Trail gefunden, und dieser Weg führt hierher. Der Verrückte könnte den Entführer gesehen haben.«
So weit sie wusste, war Kojoten-Charlie noch nie im Tal gesehen worden. Und es gab den Schattenmann am Ende des Pfads, dem sie Zack überlassen hatte.
»Er könnte das Kind sogar selbst entführt haben.«
Vor ihrem geistigen Auge erschien ein Bild von Charlie, der auf bröckeligen Ziegeln kniete, den Mond anheulte und sich über eine kleine Gestalt beugte wie ein Kojote über ein Kaninchen. Verfluchte Vorstellungskraft! Die Felsenbrücke würde den Weg um einen Kilometer abkürzen. Doch es war dunkel und jeder Schritt gefährlich …
Sie stand auf und zog die kleine Taschenlampe aus der Weste. »Dann mal los!«
Zögernd hob Perez die eigene Lampe vom Boden auf. »Fünf Kilometer in völliger Dunkelheit? Ist das nicht auch ein wenig verrückt?«
»Der Mond scheint ja.« Ungeduldig schlug sie mit der Lampe gegen ihren Oberschenkel. »Und ich weiß eine Abkürzung.«
Perez richtete die Taschenlampe auf sein Kinn und knipste sie an. Teuflische Schatten umrahmten ein Grinsen. »Kojoten-Charlie, wir kommen.«
Vielleicht war er ja doch nicht so verklemmt.
Ein Heulen, bei dem ihnen das Blut gefror, drängte sie zum Aufbruch.
Ranger Rafael Castillo saß in seinem Wagen und beobachtete den Campingplatz. Irgendjemand musste doch in jener Nacht etwas von Zacks Verschwinden bemerkt haben. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge hatte damals hier gestanden.
Es sah nicht gut aus für den Jungen: In einem Umkreis von zwanzig Kilometern hatten sie alles abgesucht, ohne auf die geringste Spur von Zachary Fischer zu stoßen. Als die Lösegeldforderung der Zentrale gefaxt worden war, vermutete Rafael, dass jemand sich das Kind geschnappt hatte und aus dem Park verschwunden war, ganz egal, was die Wächter am Tor behaupteten. Doch jetzt hatte man den Schuh an einem Pfad gefunden, der mitten in den Park führte, und Rafael wusste nicht, was er davon halten sollte.
In Russ Wilsons Wohnmobil brannte Licht, aber man sah niemanden. Vielleicht las Wilson ja. Oder er sah fern; ein Kabel verband den Wagen draußen mit einer Buchse. Das FBI hatte das Fahrzeug wie noch ein paar andere genau überprüft. Die Anfrage hatte nichts ergeben, das Mobil war auf Orrin R. Wilson in Rock Creek zugelassen.
Dennoch hatte Rafael noch immer ein komisches Gefühl bei dem Kerl. Zacks Kappe war bei ihm gefunden worden – ein eigenartiger Zufall. Morgen würde Rafael das Verkehrsamt in Utah anrufen und sich die Akte von Orrin R. Wilson schicken lassen. Manchmal sagten selbst Knöllchen eine Menge über die jeweilige Person aus. Aber woher sollte er die Zeit dafür nehmen? Die Doppelschichten brachten ihn noch um.
Rhythmische Schritte auf dem Asphalt erregten
Weitere Kostenlose Bücher