Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
Ende angekommen ignorierte Perez Sams ausgestreckte Hand und stieg langsam zu ihr hinunter. Er atmete tief aus, und sie spürte seinen warmen Atem an Nacken und Schulter.
Nur Sekunden später hob das Heulen erneut an.
»Er kann nicht mehr weit weg sein. Seien Sie leise. Bei Nacht tragen Geräusche sehr weit.« Sam knipste die Taschenlampe aus und kletterte den Abhang hoch, Perez war ihr dicht auf den Fersen.
»Dort.« Mit dem Finger wies sie die Richtung. Die Erscheinung stand mit dem Rücken zu ihnen, breitbeinig mit bloßen Füßen und ausgestreckten Armen. Kojoten-Charlie war nicht nackt. Auf den schmalen Hüften hingen fleckige, abgetragene Hosen, und am dürren Oberkörper klebte ein T-Shirt. Um das Haar hatte er ein Taschentuch geknotet. Als die Kojoten auf der anderen Seite der Schlucht immer lauter aufjaulten, ballte der Mann die Fäuste, warf den Kopf zurück und stieß ein unheimliches Heulen aus.
Perez zog die Pistole aus seinem Gürtel und hielt sie mit beiden Händen vor sich, während sie sich der geisterhaften Gestalt näherten. Der traurige Gesang verklang, und man hörte Perez’ feste Schritte auf dem harten Gestein. Kojoten-Charlie wirbelte herum.
»Hände hoch!«, bellte Perez und blieb stehen, die Beine hüftbreit auseinander. »FBI!«
Charlie war kurz wie erstarrt, die Arme immer noch steif zu den Seiten ausgestreckt. Dann beugte er sich nach vorn und verschwand mit wirbelnden Armen und Beinen – weit und breit sah man nur noch den sternenübersäten Himmel.
Perez rannte los. Sam lief ihm nach und holte ihn ein, als er abrupt am Rand des Plateaus stehenblieb. Ihre Taschenlampen zeigten eine Reihe von schmalen Absätzen im steil abfallenden Hang. Die hohen Schreie von Fledermäusen schrillten durch die Nacht. Unter ihnen ging ein Kieselschauer nieder.
Sie konnte dem Drang zu sticheln nicht widerstehen. »Hat ja gut geklappt.«
Ein Schwall von vermutlich spanischen Flüchen war die Antwort.
»Geben Sie auf, FBI. Heute Nacht kriegen wir den nicht mehr. Der kennt die Gegend wie seine Westentasche.«
»Verdammt.« Perez seufzte tief. »Was ist da unten?«
»Die Ruinen.«
Er starrte ins Dunkel.
»Von hier kann man sie nicht sehen. Es ist ein halbmondförmiger Überhang, ein sogenannter blinder Bogen. Darunter stehen die verlassenen Behausungen der Anasazi und noch weiter unten ergießt sich ein Wasserfall aus dem Curtain. Hinter den Hoodoos dort, etwa einen Kilometer von hier, verläuft der Goodman Trail, der zum Sunset Canyon führt.« Sie wies auf eine Reihe steinerner Wächter im Westen. Bei Tageslicht leuchteten sie rot, im Mondschein sahen sie grau und finster aus.
»Ich will da runter.«
Sam stöhnte. »Wir brauchen schon mindestens eine Stunde, um zum Lager zurückzukommen.«
»Nicht heute Nacht«, stellte er klar. »Aber gleich morgen früh. In Ordnung?«
»Seit wann braucht das FBI meine Erlaubnis, um irgendwohin zu gehen?«
Er wandte sich um und sah sie an. »Seit das FBI einen Führer benötigt. Können Sie mich morgen zu den Ruinen bringen?«
Sam überlegte. »Wenn wir an ein paar Stellen Halt machen, um nach Zack zu suchen.«
Perez nickte. »Noch besser.«
»Sie müssen mithalten können.«
Er versteifte sich. »Habe ich das nicht bisher?«
»Und Sie müssen mir sagen, was Sie wissen.«
»Mal sehen.« Er steckte die Pistole in das Holster am Gürtel und entspannte sich sichtlich. »Eine schöne Nacht für einen Spaziergang.«
Er hatte recht. Im hellen Mondlicht schimmerte der Sandstein vom Temple Cap wie frisch gefallener Schnee, nur hier und da unterbrachen spitze Yuccas und kräftige Skelette von Zwergwacholder die weiße Fläche. Es war einigermaßen warm, um die fünfzehn Grad etwa. Falls Zack sich hier draußen befand, und genügend vor dem Wind geschützt …
»Der Junge könnte eine solche Nacht überstehen«, sagte Perez zu ihrer Überraschung.
Sie nahm sich vor, alle peinlichen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, wenn Perez in der Nähe war.
Lange stand er schweigend da und blickte forschend zum Himmel auf.
»Wissen Sie was?«, sagte er schließlich so leise, dass sie sich anstrengen musste, um seine Worte zu verstehen. »Ich hatte die Sterne ganz vergessen.« Er schüttelte den Kopf. »Wie kann man nur die Sterne vergessen?«
Nach etwas über einer Stunde waren sie wieder in der versteckten Schlucht. Sam schob ihre Ausrüstung ins Zelt und setzte sich, um die Stiefel aufzuschnüren. Perez nahm sein Gepäck. »Hier drin ist nicht genug Platz für
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