Summer Westin: Verhängnisvolle Spuren (German Edition)
einmal mehr das Wasserrauschen hören kann.« Sie wies auf den Sand und die Steine am Boden. »Hier kommt kaum jemand vorbei«, sagte sie leise. »Vielleicht finden wir dort verwertbare Fußabdrücke.«
Perez übernahm die Führung und inspizierte jeden Zentimeter mit der Taschenlampe. Der Strahl fiel auf eine grobe Zeichnung zweier Hirsche in Ockertönen und drei Handabdrücke – zwei stammten von Erwachsenen und einer war kleiner, hatte die runde Handfläche und die kurzen Finger einer Babyhand.
»Das Zeichenzimmer – jetzt verstehe ich, warum«, flüsterte Perez. »Anasazi?«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Archäologen meinen, es seien erst kürzlich entstandene Fälschungen.«
Das Licht in der Kammer wurde schwächer, als hätte eine Glühbirne gerade ihren Geist aufgegeben. Im schmalen Spalt über ihnen waren Gewitterwolken zu sehen.
»Oh nein«, stöhnte Sam leise. »Das sieht nach Regen aus.« Ein Rumpeln über ihren Köpfen bestätigte ihre Vorhersage.
»Hier drinnen bleiben wir sicher trocken.«
»Darum geht es nicht. Wenn es regnet, strömt das Wasser von der Hochebene in den Curtain Creek. Und falls Sie sich noch erinnern: der Curtain Creek fließt durch die Zickzack-Passage und ergießt sich dann …«
»Hier hinein«, beendete er ihren Satz in plötzlich grimmigem Tonfall. Seine Augen richteten sich auf den ruhigen Wasserlauf, der durch die Kammer floss. »Wie lange dauert es, bis der Bach anschwillt?«
Sam schnappte nervös nach Luft. »Kommt drauf an, wie stark es regnet und wie lange. Wenn es richtig schüttet, wird innerhalb einer halben Stunde alles überflutet.«
Ein paar Tropfen fielen durch das natürliche Oberlicht. Wettervorhersagen! Es sollte doch nicht vor heute Abend regnen! Sie packte Perez am Ärmel. »Wir sollten los. Noch drei Kammern liegen vor uns.«
Er musste sich bücken, um einem Vorsprung über ihren Köpfen auszuweichen. Im Schatten lauerte niemand. Sam ermutigte Perez nicht, sich noch einmal genauer umzuschauen. Die Zeit wurde knapp.
An Felswänden entlang und durch Wasserpfützen kletterten sie über hölzerne Absperrungen an einem Schild vorbei – GEFAHR! BETRETEN VERBOTEN! – und tasteten sich einen ausgeschwemmten Einschnitt hinunter zu nächsten Kammer. Über ihnen zuckten Blitze und erhellten einen Steinhaufen unter einem weiteren Oberlicht.
»Trümmerzimmer. Vorsicht«, warnte Sam Perez. »Von diesem Raum habe ich Ihnen schon erzählt. Die Decke ist instabil.«
»Offensichtlich.« Er ließ den Strahl der Taschenlampe über die Insel mit den Bruchstücken wandern. Der Regen war stärker geworden und platschte in dicken Tropfen auf den Kalkstein. Glimmer glitzerte auf, sobald der Strahl der Taschenlampe das Gestein traf.
»Schon seit Jahren darf hier niemand herein. Bei jedem kleineren Erdbeben oder heftigem Regen stürzt noch mehr ein. Aber anscheinend kommen wir gerade noch durch. Bleiben Sie am Rand.« Fledermäuse schrien und Schwalben tschilpten in hohen Tönen über ihren Köpfen. Liebend gerne hätte Sam jetzt einen Helm getragen, sowohl um den Vogelkot abzuhalten, als auch um sich vor herunterfallenden Steinen zu schützen.
Perez richtete die Taschenlampe wieder auf den Boden. In der kurzen Zeit, die sie die Kammer betreten hatten, war das Wasser schon sichtlich angestiegen und der Curtain Creek ein respektabler Fluss geworden.
»Warten Sie!« Sie griff nach seiner Hand. »Die Felsen – da ist etwas.«
Sie lenkte den Strahl der Taschenlampe auf die Steine in der Mitte der Kammer. Dunkelgrünes Moos und rostfarbene Flechten überzogen die Bruchstücke, wirbelndes Wasser schoss an ihnen vorüber. Ein heller Blitz blendete Sam.
Sie zog ihre Hand wieder weg. »Egal. Vielleicht haben mich die Blitze getäuscht.« Wie das Nachbild eines Kamerablitzlichts verschwand der helle Fleck langsam aus ihren Augen.
»Nein«, sagte er finster. Und hielt die Lampe weiter auf den Haufen gerichtet. »Dort.«
Zwischen den dunklen Steinen leuchtete eine kleine weiße Hand auf. Kurze Finger waren gekrümmt gen Himmel gerichtet, als wollten sie die fallenden Tropfen auffangen.
22
»Oh Gott.« Das Blut rauschte so laut in Sams Kopf, dass alle anderen Geräusche übertönt wurden. Voller Grauen starrte sie auf die bewegungslosen Finger zwischen den Steinen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Brust tat ihr weh, als hätte ihr jemand einen Schlag versetzt. Atme! Jeder Atemzug schmerzte. Nimm dich zusammen, Summer!
»Wir haben nicht die Zeit, Ihre
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