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Sumpfblüten

Sumpfblüten

Titel: Sumpfblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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Wo zum Teufel ist mein Sohn?
    Um herauszufinden, ob Piejack wieder hören konnte, fragte sie in ruhigem Ton: »Was werden Sie jetzt tun, Louis?«
    »Was zum Teufel glaubst du denn? Ich werd dir deinen hübschen Arsch wegballern«, antwortete er. »Aber zuerst werd ich ihn vögeln.«
    Er hustete irgendetwas hoch, runzelte die Stirn über den Geschmack und spuckte aus. Honey spähte zwischen seinen Knien hindurch und suchte vergeblich nach Fry.
    »Dein Kleiner ist weggerannt«, sagte Piejack. »Aber den erwische ich schon noch, keine Angst.«
    Seine Augäpfel rollten, und er schluckte ganz langsam, wie eine Kröte. Es war eindeutig zu erkennen, dass Honey ihm Verletzungen zugefügt hatte.
    »Zieh die Hose aus«, befahl er.
    »Vergessen Sie’s, Louis.«
    »Du weißt verdammt noch mal genau, dass ich schieße.«
    »Und das ist auch die einzige Möglichkeit, wie je zwischen uns was passieren könnte – wenn ich tot wäre«, gab Honey zurück.
    »Also, das ist doch bescheuert.« Piejack berührte ihre Stirn mit der Mündung der Flinte. »Aber wenn du’s so haben willst …«
    Honey erwartete, dass ihr ganzes Leben blitzschnell an ihr vorbeizog, so wie die Leute immer sagten, doch nur ein einziges Ereignis aus ihren 39 Jahren lief im Schnelldurchlauf ab: Frys Ankunft.
    Die Wehen setzten an einem Montagnachmittag ein, sechs Wochen zu früh. Über Funk verständigte sie Perry draußen auf seinem Krabbenkutter. Er kam mit voller Fahrt heimgedampft, trug sie zum Truck und raste mit 150 Stundenkilometern quer durch den Bundesstaat zum Jackson Hospital in Miami. Ein reizender alter kubanischer Arzt fragte, ob sie eine Epiduralanästhesie wolle, und Honey sagte nein, weil sie sich dachte, das Kind wäre bestimmt klein, und es würde nicht so wehtun, wenn es herauskäme. Doch es tat ordentlich weh und dauerte länger, als sie erwartete: 15 Stunden und 41 Minuten. Perry blieb an ihrer Seite. Wenn Honey Schmerzen hatte, drückte er ihre Hand, und wenn nicht, las er ihr aus einem Buch mit Fischergeschichten von Zane Grey vor. Honey interessierte sich nicht fürs Fischen, doch es war das erste Mal, dass sie ihren Mann laut vorlesen hörte, und aus irgendeinem Grund fand sie es beruhigend.
    Dann wurden die Krämpfe heftiger. Der Arzt sagte, sie solle pressen. Die Schwestern sagten, sie solle pressen. Perry sagte, sie solle pressen.
    Honey erinnerte sich, dass sie sich auf die Lippe gebissen und gedacht hatte: Gott sei Dank, dass der Kleine nicht bis zum Schluss durchgehalten hat, der hätte mich aufplatzen lassen wie
    ’ne Melone! Und ganz plötzlich war er da, zappelte auf dem Laken wie eine lila Kaulquappe: Fry Martí Skinner, drei Pfund und 315 Gramm.
    Vom ersten Atemzug an wirkte er ungewöhnlich selbstsicher. Weinte kein einziges Mal im Kreißsaal, nicht einmal als Perry die Nabelschnur durchschnitt. Die Schwestern drehten am Rad, weil das Kind keinen Mucks von sich geben wollte, Honey jedoch machte sich keine Sorgen. Der Junge war klug. Er wusste genau, dass er geborgen war und geliebt wurde.
    Mom und Dad waren diejenigen, die weinten, als die Schwestern Fry auf die Frühgeborenenstation schleppten und ihn verdrahteten wie eine Maus im Laborkäfig. Flüssigkeit in der Lunge, sagte der Arzt und vermied das Wort »Lungenentzündung«, um Honey nicht noch mehr aus der Bahn zu werfen, die bereits völlig verzweifelt war. Sie weigerte sich, das Krankenhaus zu verlassen; Skinner brachte ihr Essen, Bücher und frische Kleider. 15 Tage später war Fry zu Hause, und seine Mutter war wiederhergestellt, wenn auch nicht unverändert.
    Es war ganz natürlich, dass jetzt, wo die Zeit ablief, ihr letzter Gedanke ihrem Sohn galt.
    Der jetzt ohne Helm hinter einem Baum hervorkam. Er hielt eine gebleichte, abgebrochene Dachlatte in den Händen.
    Honey zwang sich, still zu sein und den Blick fest auf Louis Piejacks abgesägte Schrotflinte zu heften. Am besten zielte er damit auf sie und nicht irgendwo anders hin.
    Langsam schlich Fry sich an.
    Was für ein kolossaler Mut, staunte Honey und wappnete sich für das Ende.
     
    Die freie Natur hatte Louis Piejack noch nie in ihren Bann geschlagen. Das unsentimentale Geschäft des Fischhandels hatte ihn in die Ten Thousand Islands geführt. Es war ganz einfach: Wenn man mit Fischen handelte, ging man dorthin, wo es Fische gab. Piejack konnte nicht begreifen, warum Touristen und Umweltspinner so von den Everglades schwärmten. Er hatte für die fiesen Insekten und die Gluthitze nichts übrig; seine

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