Sumpffieber
die Kanäle wie Platten von dunklem Stahl, die Wölkchen über dem See färbten sich rot, und von den Strohdächern der Fischbehälter flogen Schwärme von Morisken auf, die, ihres Daseins und ihrer Freiheit froh, mit lustigem Piepsen die monotone, melancholische Weise der Gläubigen beantworteten.
»Erwache, Christ!« sang der Rosenkranz durchs Dorf.
Ein drolliger Ruf! Denn alle Bewohner, klein und groß, gingen in der Prozession, und in den leeren Anwesen erwachten nur bellende Hunde und Hähne, deren sonorer Schrei die traurige Melodie übertönte wie ein Trompetenstoß, der das neue Licht und die Freude eines weiteren Tages begrüßt.
Tonet, wie die anderen der Prozession folgend, erfaßte ein grimmiger Zorn, wenn er seinen alten Kameraden allen voran – fast ein General – ander Spitze marschieren sah, das Kreuz hochgereckt, als trüge er eine Fahne. »Ah, dieser Bandit! Wie der es verstanden hat, sich das Leben nach seinem Belieben einzurichten!...«
Inzwischen lebte er selbst vollkommen abhängig von seinem immer ernsteren und immer weniger mitteilsamen Vater, der im Grunde ein guter Mensch war, dessen hartnäckiger Fanatismus für die Landarbeit jedoch bis zur Grausamkeit gegen die Seinen ausartete. Schlechte Zeiten! Die Felder von Saler gaben nicht zwei gute Ernten hintereinander, so daß die Wucherer, zu denen Toni seine Zuflucht genommen hatte, den größten Teil des Ertrages einheimsten. Auch in der Fischerei wandte sich das Glück von den Palomas ab: beim Verlosen der Plätze durch die Genossenschaft holten sie sich stets die minderwertigsten Stellen. Obendrein siechte die Mutter dahin, verzehrte sich langsam wie eine Kerze – ohne anderes Licht als den krankhaften Glanz ihrer Augen.
Das Leben war traurig für Tonet. Keine ausgelassenen Streiche mehr, die das Dorf in Aufregung versetzten; kein Verhätscheln durch Nachbarinnen, die ihn den hübschesten Jungen von Palmar nannten. Und auch keine Vorzugsstellung mehr unter seinen Kameraden, um am Tage der Verlosung die Nummern aus dem Ledersack der Genossenschaft zu ziehen. Jetzt war er ein Mann; doch während er früher als verwöhntes Kind dem ganzen Hause seinen Willen auferlegt hatte, wurde er nun kommandiert und bedeutete ebensowenig wie Borda. Bei der geringsten Auflehnung hob sich drohend die schwere Faust seines Vaters, ganz im Sinne des alten Paloma, der laut lachend erklärte, daß man nur auf diese Art die Leute auf den richtigen Weg brächte.
Beim Tode seiner Schwiegertochter schien die frühere Zuneigung zu seinem Sohn im Herzen des Greises wieder zu erwachen. Mit dem Verschwinden dieses fügsamen, all seine Marotten meist stumm ertragenden Geschöpfes fühlte er um sich eine Leere und suchte Halt bei Toni. Wohl war der ungehorsam; doch nie wagte er, ihm offen zu widersprechen.
Wie in alten Zeiten fischten sie gemeinsam und gingen auch wohl für ein Weilchen zusammen ins Wirtshaus, während Borda mit der frühreifen Energie unglücklicher Kreaturen die Hausarbeit besorgte.
Neleta wurde ebenfalls zur Familie gehörig angesehen. Ihre Mutter konnte den Markt in Valencia nicht mehr besuchen. Die Feuchtigkeit der Albufera schien bei ihr bis in das Mark der Knochen eingesickert zu sein, und diebeklagenswerte Frau saß mit gelähmtem Körper in ihrer Hütte, stöhnend vor rheumatischen Schmerzen und machtlos, ihren Unterhalt zu verdienen. Wenn das, was ihnen die übrigen Fischhändlerinnen aus ihren Körben schenkten, nicht genügte, um Neletas Hunger zu stillen, lief sie zu Palomas Hütte, wo sie, die Autorität der Älteren betonend, der kleinen Borda half. Immer fand sie eine freundliche Aufnahme, denn Tonis steter Kampf gegen das Elend ließ ihn großmütig allen helfen, denen es noch schlechter ging.
Neletas Beziehungen zu Tonet nahmen allmählich einen mehr geschwisterlichen Charakter an. Der Junge kümmerte sich nicht viel um sie. Ihrer Treue glaubte er sicher zu sein. Wen hätte sie auch lieben können?... Durfte sie überhaupt einem anderen Aufmerksamkeit schenken, nachdem das ganze Dorf sie für Verlobte hielt?... Und er behandelte Neleta, die schön wie eine seltene Blume in der Misere heranwuchs, mit einer Ungezwungenheit, als wären sie schon verheiratet. Manchmal verstrich eine Woche, ohne daß er sich mit ihr beschäftigte.
Andere Sachen steckten ihm im Kopf, diesem Fant, der als feschester Bursche von Palmar galt. Stolz auf seinen Ruf, vor nichts und niemand Angst zu haben, raufte er bei jeder Gelegenheit, wobei er noch
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