Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
Vom Netzwerk:
Stange.
    »Soll ich dir helfen?« fragte Neleta. »Staken kann ich auch; du weißt doch, wie wir als Kinder in fremden Booten ausrissen, um die Kanäle zu durchstöbern?«
    »Ruhig ...«, verwies er sie.
    Doch Neleta schwieg nicht. Sie fühlte sich bedrückt von dieser Stille, in der sich ihre Blicke flohen, als fürchteten sie, die Gedanken zu verraten. Weit, sehr weit vor ihnen hob sich wie ein phantastischer, nie erreichbarer Strand die gezackte Linie der Dehesa.
    »Erinnerst du dich noch an die Nacht, die wir dort verbrachten, Tonet? An unsere große Angst und den friedlichen Schlaf? Mir ist unser Abenteuer noch so frisch in der Erinnerung, als hätten wir es gestern erlebt.« Ihre Stimme war ruhig, doch das Lachen klang gemacht. Als ihr Begleiter stumm blieb, drehte sie, stutzig geworden, den Kopf. Jetzt erst bemerkte sie, wie seine Blicke, unruhig flackernd, an ihren kleinen, gelben Schuhen hingen und an den Beinen, die das hochgerutschte Kleid freigab. Hastig zog sie es hinunter, doch ihr Lächeln verschwand. Ein harter Ausdruck lag um ihren zusammengekniffenen Mund, und zwischen den fast geschlossenen Augen zog sich eine tiefe Falte, die von ihrem Bemühen sprach, Herr über sich zu bleiben.
    Nur langsam kamen sie weiter. Es war eine überaus saure Arbeit, die Albufera mit dem schwer beladenen Boot zu durchqueren. Andere Barken, die als einziges Gewicht nur den Mann trugen, der sie stakte, flogen schnell wie Pfeile an ihnen vorbei und verloren sich in dem stetig dunkler werdenden Zwielicht.
    Über eine Stunde hatte Tonet sich gequält, bald mit der Stange auf dem harten Muschelboden abgleitend, bald im Tang steckenbleibend, und sein keuchender Atem bewies, wie sehr ihn diese nicht mehr gewohnte Strapaze angriff. Wäre er allein gewesen, so hätte er sich lang ausgestreckt, um auf Wind zu warten oder auf ein Boot, das willig war, ihn ins Schlepptau zu nehmen. Aber Neletas Gegenwart weckte seinen Ehrgeiz, und ohne im Staken innezuhalten, wischte er immer häufiger mit dem Ärmel sein schweißbedecktes Gesicht ab.
    »Komm zu mir und verschnaufe dich ein bißchen. Es ist doch gleichgültig, ob wir eine halbe Stunde früher oder später ankommen.«
    In Neletas Stimme schwang ein Ton mütterlicher Zärtlichkeit. Sie rutschte auf ihrem Bündel zur Seite, um ihm Platz zu machen.
    Unbeweglich ruhte die Barke, und die Nacht, der nur wenige, im Wasser zitternde Sterne eine spärliche Helle gaben, wurde lebendig von geheimnisvollen Stimmen. Vom Meer kommende Wolfsbarsche verfolgten die kleinen Fische, bei deren regelloser Flucht die schwarze Wasserfläche in einembeständigen Tschap-Tschap zerriß. Aus einem nahen Röhricht jammerten ängstliche Krickenten, und Seenachtigallen schmetterten ihre endlosen Skalen. Inmitten dieses von Geräuschen und Gesängen belebten Schweigens träumte Tonet, daß die Zeit nicht weitergegangen wäre, daß er wieder als Junge auf einer Waldlichtung säße, neben sich die Gefährtin seiner Kindheit, die Tochter einer Aalhändlerin. Jetzt hatte er keine Furcht; nur verschüchterte ihn der berauschende Duft, der von ihrem Körper ausging und ihm wie schwerer Wein zu Kopf stieg.
    Ohne zu wagen, Neleta in die Augen zu sehen, schlang er einen Arm um ihre Taille. Fast im gleichen Augenblick spürte er die Liebkosung einer weichen Hand, die kühlend über seine heiße Stirn strich.
    Den Kopf hebend, sah er dicht vor sich zwei leuchtende Augen, die das Licht eines fernen Sterns widerspiegelten; an der Schläfe fühlte er das Schmeicheln von Neletas blondem Haar, das ihren Kopf wie eine Aureole umgab. Das starke Parfüm, von dem ihre Kleidung wie durchtränkt zu sein schien, drang bis ins Innerste seines Seins.
    »Tonet! Tonet!« murmelte sie mit vergehender Stimme.
    Ganz wie damals in der Dehesa! ... Aber jetzt waren sie keine Kinder mehr; die Unschuld, mit der sie sich aneinandergedrängt hatten, um Mut zu schöpfen, war verschwunden. Und als sie sich nach so vielen Jahren von neuem umarmten, fielen sie, alles vergessend, auf die hänfenen Garnbündel, mit dem Wunsch, nie wieder aufzustehen.
    Wie verlassen blieb die Barke mitten auf dem See liegen, ohne daß sich die leichteste Silhouette über ihrem Rande abzeichnete.
    Langgedehnt erklang ein Lied heimkehrender Fischer. Sie stakten durch das dunkle, von Gemurmel erfüllte Wasser und ahnten nicht, daß ganz nahe, eingelullt vom Gezwitscher der Seevögel, in der Stille der Nacht sich Eros, der Beherrscher der Welt, auf den Planken einer Barke

Weitere Kostenlose Bücher