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Sumpffieber

Sumpffieber

Titel: Sumpffieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vicente Blasco Ibañez
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Entzücken über den Glutball der untergehenden Sonne, über diese Dämmerstunde, die am See viel geheimnisvoller und schöner ist als auf dem Festland.«
    Ein langes Stillschweigen folgte. Aber Sangoneras Beredsamkeit war noch nicht erschöpft.
    »Unser Vikar sagt, daß der Mensch dazu verdammt ist, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen. Aber ist nicht Jesus auf die Welt gekommen, um uns von der Erbsünde zu erlösen? Um der Menschheit ein Leben wie im Paradies, frei von jeder Arbeit, wiederzubringen? ... Nur halten sich die von ihrem Hochmut verblendeten Sünder nicht an seine Worte. Jeder will besser leben als die anderen – es gibt Reiche und Arme, statt daß alle gleich wären. Jesus muß wieder auf die Welt kommen, muß die Menschen von neuem auf den guten Weg leiten. Bei dieser Wiederkehr, an die ich fest glaube, wird er sich aber nicht in den reichen, großen Städten zeigen, wie er ja auch das erstemal jene ungeheure Stadt Rom nicht besucht, sondern nur in kleinen Dörfern gepredigt hat. Und der See, über dessen Wellen Jesus zum Staunen der Jünger schritt, war sicher nicht größer und schöner als die Albufera.«
    Mit einer Begeisterung, die ebensosehr von seinem seltsamen Glauben wie vom Wein herrührte, richtete er seine Blicke exaltiert zum Horizont. »Ich habe oft von ihm geträumt, und einmal, Tonet, einmal, als mich das Fieber schüttelte, sah ich sein violettes Gewand mit den starren Falten so nahe vor mir, daß ich es berühren wollte, um geheilt zu werden.« Tonet hörte ihm schon nicht mehr zu. Auf der Landstraße von Gatarroja ertönte lautes Schellengeklingel, und hinter dem Wiegehäuschen kam die rissige Wetterplane eines zweirädrigen Wagens zum Vorschein. Sangoneras scharfe Augen hatten sofort Neletas Kopf an dem Fensterchen des Fuhrwerks erkannt, was ihn veranlaßte, sich von Tonet zu verabschieden und wieder in sein Stroh zu kriechen . . . mit Cañamels hochnäsiger Frau, die ihn nicht mehr in der Taverne duldete, wollte er nichts zu schaffen haben! »Und der Großvater?« staunte Tonet, als aus der dicht am Ufer haltenden Tartana nur Neleta ausstieg.
    »Er macht den Umweg über Saler, wo er bei einer Witwe noch einige Fischleinen billig erstehen will. Von dort kehrt er nachts mit irgendeinem Boot direkt nach Palmar heim.«
    In beider Augen lag derselbe Gedanke: eine Rückfahrt zu zweien! Zum erstenmal ein Zusammensein fern von jedem neugierigen Blick! Und beide wurden blaß angesichts einer tausendmal ersehnten Gefahr, die sich jetzt plötzlich und unvermutet einstellte. Doch ein sonderbares Schamgefühl ließsie den Augenblick ihrer Abfahrt hinauszögern, als fürchteten sie die Glossen der Leute im Hafen, die sie in Wirklichkeit kaum beachteten. Mit Hilfe des Kutschers schichtete Tonet die dicken Bündel Garn am Bug des Boots zu einem gelben Haufen, von dem der starke Geruch frisch gedrehten Hanfes aufstieg.
    Neleta bezahlte den Fuhrmann. »Kommen Sie gut heim!« rief er, als er peitschenknallend fortrollte. Doch noch immer traf sie keine Anstalten, das Boot zu betreten.
    »Es wird Zeit, wenn wir noch etwas von dem Wind haben wollen«, mahnte der Kubaner mit heiserer Stimme und half ihr zu einem Sitz am Fuß des Mastes.
    Das Segel rauschte hoch; langsam glitt die Barke in der ersterbenden Brise den Kanal entlang.
    Im letzten Abendlicht zogen die Hütten vorbei mit ihren Girlanden von Netzen, die auf den Rohreinfriedigungen trockneten, ab und zu auch alte Wasserräder, deren vermorschtes Holz die Fledermäuse zu umflattern begannen. Am Uferrande schleppten Fischer mittels des am Gürtel befestigten Seils mühsam ihre Boote vorwärts.
    »Guten Abend«, grüßten sie.
    »Guten Abend!«
    Und wieder Stille. Wieder hörte man nichts als das Glucksen des von der Barke geteilten Wassers und das Gequake der Frösche. Immer mehr wichen die Ufer auseinander, weite Strecken Röhricht vorschiebend, das im Dämmerlicht wie die Wipfel eines versunkenen Waldes hin und her wogte. Noch ein kurzes Stück trieb sie die einschlafende Brise. Um sich herum sahen sie nur noch Wasser; Neleta und Tonet waren in der Albufera. Ganz ruhig lag der See, dessen sanftes Opal den letzten Glanz der bereits hinter den fernen Bergen verschwundenen Sonne widergab. Vereinzelt begann das Gefunkel der Sterne den tiefviolett gefärbten Himmel zu durchbrechen, und wie Schemen zeichnete sich an den Grenzen der Wasserfläche die schlaffe, reglose Leinwand der großen Barken ab. Tonet barg das Segel und griff zur

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